3.3 Verzahnung von interpretatorischer und kompositorischer Arbeit207Haltung, die sich nur mehr musikalisch vermittelt. Die Bach-Transkriptionen Lipat-tis umfassen zwei Airs aus der Kantate ›Was mir behagt, ist nur die muntre Jagd‹ BWV 208, die Pastorale F-dur für Orgel BWV 590, und, posthum von Boulangervollendet, das ›Musikalische Opfer‹, BWV 1079. In den Kantatebearbeitungen zei-gen sich Ähnlichkeiten zu Arrangements von Busoni, Myra Hess oder Wilhelm Kempff, die Lipatti in seinen Konzertprogrammen spielt.173 Am auffälligsten zeigt sich die kompositorische Affinität zu Bach sicherlich im Concertino en style classique, zugleich Lipattis Hinwendung zum bewusst neoklassizistischen Kompositionsstil.Die Scarlatti-Rezeption im Zuge des Neoklassizismus ist sehr umstritten. Alfre-do Casella provoziert mit seinem Aufsatz ›Scarlattiana‹ zu seiner gleichnamigen Komposition scharfe Kritik, da er mit ihr zugleich die Rückkehr zur Tonalität legiti-miert: »Die heutige Renaissance der alten Formen ist aber auch ein Resultat der defi-nitiven Liquidation des atonalen Intermezzos. […] Einige Jahre hindurch sind die italienischen Komponisten von manchem auswärtigen Kollegen über die Achsel angesehen worden, weil sie durch ihre Verbundenheit mit der Tonali-tät ›rückständig‹ erschienen. Aber die Moden in der Kunst sind ebenso lau-nenhaft wie die anderen, und wer gestern Reaktionär war, findet sich plötzlich in der Avantgarde.«174Casellas Werk ›Scarlattiana‹ fußt auf Themen Scarlattis, doch sei »keine Imitation, kein Arrangement, kein ›Rifacimento‹«,175 sondern ein »synthetischer Stil«176 im Sinne der Verbindung aktueller mit vorromantischer italienischer Musik. Wiederum enthält diese Vorgehensweise auch nationale Aspekte, indem »das beste Mittel in-ternational zu sein, die genaue Kenntnis von Sprache und Geschichte der eigenen Heimat«177 sei. Lipattis Konzertprogramme enthalten Scarlattis Klaviersonaten, von zwei Sona-ten ist eine Einspielung erhalten.178 In dem Bemühen um ›Stiltreue‹ greift Lipatti wiederum mit Oktavverstärkung in den Notentext ein.179 Seine Neigung zu Scarlat-ti zeigt sich in der Bearbeitung mehrerer Klaviersonaten für kammermusikalische Bläserformation. Als »Frühform des […] klassischen Stils«180 sind die Sonaten Scar-lattis geprägt von klarer, periodisch ausgerichteter Gliederung, motivischer Leicht-füßigkeit und prägnant gefasster Melodik – Kennzeichen, die sich auf komposito-173Aufnahmen sind erhalten von Busoni: Choralbearbeitungen ›Nun komm‹, der Heiden Heiland‹ und ›Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ‹, Hess : Choralbearbeitung ›Jesu bleibet meine Freude‹, Kempff: Bear-beitung der Sonate für Flöte und Cembalo Nr. 2, BWV 1031: CD EMI CDH 7 698002, CD ARC 112/113, CD ARC 127. 174Zit. nach Scherliess, 1998, S. 162f.175A.a.O., S. 163. 176Ebd.177Ebd.178Sonate E-dur, L. 23; Sonate D-moll, L. 413; CD EMI CDH / 69800 2.179Vgl. Bărgăuanu / Tănăsescu, 1991, S. 129.180Rosen, Charles: Der klassische Stil, Kassel 21995, S. 66.