208Direkte Einflüsse auf Lipattirisch neue Weise, in ebenso verspielter wie verknappter Melodik bei Lipatti nicht nur in der Fantaisie pour violon, violoncelle et piano oder in der Aubade finden lassen. »Bach und Mozart waren für die Komponisten im 20. Jahrhundert die wichtigs-ten Leitbilder«,181 schreibt Scherliess mit Blick auf zahlreiche Kompositionen für Orchester- und Kammerbesetzung bis zum Musikdrama.182 In Lipattis Werk finden sich jedoch keine direkten Mozart-Bearbeitungen.183 Der schöpferische Umgang mit Werken Mozarts ist anhand seiner Kadenzen für die Konzerte KV 365, KV 467 und KV 595 nachvollziehbar, zu denen Lipatti wiederum im Sinne einer stiltreuen Inter-pretation sagt: »La résonance du piano moderne n’a presque plus rien à voir avec la réso-nance du piano de Mozart, et je trouve qu’il faut amener dans une cadence les ornements, les perfectionnements techniques qui sont survenus depuis, tout en gardant le style, du point de vue harmonique et écriture.«184Er fügt hinzu, dass er die Kadenzen nur für die Konzerte schreibe, die keine eigenen haben, »car autrement, je ne permettrais pas cette impertinence.«185 Die komposito-rische Rezeption ist jedoch nicht offensichtlich erkennbar bzw. geschieht subtiler. Hingegen zeigt der Finalsatz des Concertino en style classique direkte Nähe zu einem Werk Haydns, indem er das Anfangsmotiv des Prestos aus der Klaviersonate G-dur, Hob. XVI: 40 zu imitieren scheint.186 Der Einfluss durch einen klassischen Stil dieser Prägung findet sich zudem in den Scherzo-Kompositionen Lipattis, so dass die Ver-zahnung von interpretatorischer und kompositorischer Arbeit Lipattis Schaffen kontinuierlich prägt.181Scherliess, 1998, S. 159.182Vgl. auch Seedorf, Thomas: Studien zur kompositorischen Mozart-Rezeption im frühen 20. Jahrhun-dert, Laaber 1990, S. 19ff. 183Mit dem Duettino Concertante für zwei Klaviere von Mozart/Busoni nimmt Lipatti wiederum eine Bu-soni-Bearbeitung in sein Programm auf.184Vgl. Interview mit Franz Walter für Radio Suisse Romande vom 29.09.1950, CD TAH 2.366–2.367.185Ebd.186Vgl. IV.2.1.2 »Beginnende Orientierung am Neoklassizismus: Concertino en style classique op. 3«.