IV Die Kompositionen Lipattis1Aspekte des kompositorischen OEuvres und der WerkanalyseLipattis derzeit bekanntes OEuvre umfasst um die 40 eigenständige Kompositionen,1 daneben sechs Transkriptionen von Werken J. S. Bachs, Domenico Scarlattis und Isaac Albeniz’, fünf Kadenzen für Klavierkonzerte von Mozart und Haydn, eine Kinderkomposition und drei nur geringfügig veränderte Bearbeitungen eigener Werke. Von den eigenständigen Kompositionen blieben 14 Werke unvollendet oder sind ganz oder teilweise verschollen, 14 Kompositionen wurden ediert. In welchem Maße die Kompositionen Originalität, Neuartigkeit und Unverwechselbarkeit aus-strahlen, wird im Folgenden zu untersuchen sein. Für Lipattis Selbstverständnis sind sie dem Klavierspiel nahezu ebenbürtig. Wie seine Biografie zeigt, erstreckt sich seine Ausbildung von Beginn an auf beide Bereiche, und es durchdringen sich die Entwicklung von Komposition und Klavierinterpretation wechselseitig. Diese Parallelität behält Lipatti sein ganzes Leben bei, auch wenn er sein kompositori-sches Werk zunehmend weniger an die Öffentlichkeit bringt.Erwartungsgemäß findet im Gesamtwerk das Klavier besondere Berücksichti-gung. Von Lipattis vollendeten Werken verzichten lediglich vier Bläserkompositio-nen völlig auf das Klavier, weshalb Șoarec hier einen weiteren Schwerpunkt sieht.2 Interessanterweise nimmt die solistische Behandlung des Klaviers nicht den größten Raum ein – alleiniger Solist ist das Klavier lediglich in dem Schülerwerk Sonate pour piano solo, im Concertino en style classique, in der Sonatine pour piano (main gauche seu-le), in den beiden Nocturnes in der Fantaisie pour piano solo und einem unbekannten Concertino en style français pour piano et orchestre sowie den Transkriptionen. Auffäl-lig ist dagegen das kammermusikalische und konzertante Zusammenspiel in allen übrigen Kompositionen. Darin wiederum zeigt sich die ganze pianistische Band-breite des Musizierens bis hin zur Liedbegleitung und zum obligaten Klavier im Or-chestersatz etwa in der Suite Șătrarii.In einer Vielzahl von Äußerungen drückt sich Lipattis Bedauern aus über die Vernachlässigung der eigenen Komposition durch seine Konzerttätigkeit. Bisweilen sieht er, wie auch im oben vorangestellten Zitat, die persönliche Bedeutung seines Komponierens gar über seinem Klavierspiel: 1Vgl. X »Werkverzeichnis«; Zyklen jeweils nur als ein Werk gezählt, Transkriptionen und Kadenzen nicht mitgezählt.2Vgl. Șoarec, 1981, S. 90.