211Nur zehn Kompositionen werden von Lipatti mit einer Opuszahl versehen: So-natine pour violon et piano, op. 1, Șătrarii, op. 2, Concertino en style classique, op. 3, Trois Esquisses symphoniques, op. 4, Symphonie Concertante, op. 5, Trois Nocturnes français, op. 6, Concertino en style français, op. 7, Fantaisie pour piano solo, op. 8, Cinq Chansons, op. 9, und Sonatine pour piano (main gauche seule), op. 10. Vorwiegend an ihnen orien-tiert sich die Auswahl der vorliegenden Arbeit. Allerdings wurde auf die Analyse der frühen Sonatine pour violon et piano, op. 1 verzichtet,7 hingegen wurden für die Entwicklungsphasen eines »style roumain« nach dem Ausgangspunkt Șătrarii op. 2 (1934), dem die Violinsonatine hätte vorangestellt werden können, in chronologi-scher Reihenfolge das Nocturne (Thème moldave) (1937), die Sonatine pour piano (main gauche seule) op. 10 (1941) und als Zielpunkt der Entwicklung die Danses Roumaines (1943/45) ausgewählt. Anstelle der sehr knappen Skizzen op. 4 und des verscholle-nen Werkes op. 7 wird der Entwicklungsgang eines »style français« anhand des Stu-dienwerks Concertino en style classique op. 3 (1936), der Trois Nocturnes français (Noc-turne (en fa# mineur)) op. 6 (1939), des Concerto pour orgue et piano (1939) sowie der Cinq Chansons op. 9 (1941) und der Quatre Mélodies (1945) zusammen mit drei Lied-fragmenten nachvollzogen. Die Gegenüberstellung der beiden Studienwerke op. 2 und op. 3 erscheint dabei besonders schlüssig, da beide deutliche Einflüsse der prägenden Lehrerpersönlich-keiten, Jora und Boulanger, und ihrer jeweiligen nationalen Schule erkennen lassen. Die immer charakteristischer werdende Ausprägung eines eigenen Stils vollzieht sich jedoch nicht nur innerhalb dieser parallel verlaufenden, unterschiedlich natio-nal geprägten Stränge. Vielmehr zeigt sich gleichzeitig eine dritte Tendenz, die nicht auf nationale Konnotationen, sondern auf deren Verschmelzung zielt: Eine bewuss-te und subtile Synthese von Materialien und Verarbeitungsweisen unterschiedlicher nationaler Herkunft entwickelt sich zu einer neuen Ausdrucksweise, die auf Grund-elementen beider musikalischer Welten fußt und deren unterschiedliche Herkunft überwindet. Zu den Werken dieser Synthese zähle ich in der folgenden Darstellung die Fantaisie pour violon, violoncelle et piano (1936), die Symphonie Concertante, op. 5 (1938), die Première Improvisation (1939), die Fantaisie pour piano solo, op. 8. (1940) und die Aubade (1949). In ihnen ist keine schablonenhafte Herausfilterung nationalmusi-kalischer Elemente mehr sinnvoll, weil sie in einer eigenen Musiksprache aufgehen. In den nachfolgenden Analysen soll vor allem die bemerkenswerte Simultaneität dieser drei Schaffensstränge mit ihren Besonderheiten, aber auch Querverbindun-gen und Parallelen herausgearbeitet werden. Selbstverständlich handelt es sich bei dieser Dreiteilung bis zu einem gewissen Grad um vereinfachende Schematisierun-gen, da in den Werken häufig auch Durchlässigkeit vorhanden ist. Die Ausdifferen-zierung aller Ebenen in den jeweiligen Kompositionen ist daher ein wichtiger Be-standteil der analytischen Darstellung. 7Verwiesen sei jedoch auf Jäger, 2005, S. 43ff.