228Werkanalysenkalischen Elementen offensichtlich bewusst die Lăutari-Musik meiden in dem Be-mühen, sich an »authentischer« Landesmusiktradition zu orientieren. Ebenso deut-lich wird jedoch die Umstrittenheit dieses Diktums Breazuls wie überhaupt der Möglichkeit einer scharfen Trennung zwischen rumänischer Musik und der der Ți-gani-Lăutari, wenn diese gleichzeitig in manchen Volksmusikbereichen die einzigen Überlieferer sind. Anliegen Breazuls ist eine »neue rumänische Schule, welche die wahrhaftige sei«,35 die auf der rumänischen Volksmusik fuße, welche »außerordentlich reich an rhythmischen, melodischen und harmonischen Besonderheiten«36 sei, und in der er bislang auch Zirra und Rogalski große Verdienste attestiert. Die Musik der Țiga-ni-Lăutari gehört für ihn offensichtlich einer anderen Kategorie an, die das bisher erreichte Niveau gefährden könnte. In dieser Angelegenheit folgt ein mehrmonati-ger Briefwechsel zwischen Breazul und Zirra, teilweise über den »Cuvântul«, da Zirra keineswegs als »țigănesc«37 abgestempelt werden möchte. Die nachfolgenden Rechtfertigungen beider Seiten veranschaulichen das bereits in Kapitel III angespro-chene Ringen der jungen musikalischen Nationalschule um die Vereinbarkeit der Zugehörigkeit zu zentraleuropäischen Musiktraditionen und -standards einerseits mit dem Aufbau einer eigenen, noch zu definierenden, in landeseigener Musik ver-wurzelten musikalischen Identität andererseits.Dass diese Debatte vor allem eine jener Zeit ist, zeigen heutige Darstellungen, in denen, z. B. von Ocneanu, in Bezug auf das Anfangsthema von Lipattis erstem Satz wie selbstverständlich nur noch von einem »sichtbaren Nationalcharakter«38 ge-sprochen wird.Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist die oben zitierte Rezension Mihail Joras, in der dieser an Lipattis Şătrarii ausgerechnet »l’esprit local, autochtone«39 würdigt, also den Begriff des Autochthonen in Widerspruch zu der Auffassung Breazuls durchaus auf die für die Lăutari-Tradition typischen Elemente anwendet. Diese Äußerung zeigt ebenso wie die Debatte Breazul-Zirra, in welchem Maße sich die Positionierung der zeitgenössischen rumänischen Schule in der Zwischenkriegs-zeit im Unklaren befindet, unterschiedlich definiert wird, und welche divergieren-den Ansprüche auf Kunst- wie Volksmusik gleichermaßen erhoben werden. Sie ist auch Ausdruck einer nationalen, sich ideologisch zuspitzenden Aufbruchstimmung, in der etwa aufstrebende Literaten 1927 unter dem Namen »die junge Generation« und dem maßgeblichen Einfluss von Mircea Eliade ein Programm der »Authentizi-tät« als »Primat des Geistes, von Kultur und Religion«40 der rumänischen Nation beschwören, deren Anspruch von kollektiver kultureller »Wiedererneuerung« sich35Zit. nach Vasile, o. J., S. 275; »nouă şcoală românească, care e aceea adevărată.«36Ebd.; »extraordinar de bogat în resurse ritmice, melodice şi armonice.« 37A. a. O., S. 277.38Ocneanu, 2000, S. 67; »visibil caracter naţional«.39Jora im Programmheft zum Konzert am 08.05.1941 im Athenäum Bukarest, zit. nach Bărgăuanu / Tănăsescu, 1991, S. 70; »den lokalen autochthonen Stil«. 40Kanterian, Edward: Vorwort des Herausgebers in: Sebastian, Mihail: »Voller Entsetzen, aber nicht verzweifelt«. Tagebücher 1935–44, deutsche Ausgabe Berlin 2005, S. 20.