230Werkanalysenmantischen Tendenz dieses Stils spiegelt, formuliert der Komponist Theodor Grigoriu mit den verklärenden Worten: »Man fühlt den prüfenden Blick Jo-ras […]. Der Jugendliche wird der Aufforderung folgen und alles prüfen, was ihm als bunt in der Vorkriegszeit erscheint, die Welt der wandernden Zigeu-ner mit ihrer Poesie, mit ihren Mysterien und Leidenschaften«.44 Auch in Grigorius Worten wird deutlich, dass Lipattis hier erreichtes Stadium un-trennbar mit den Erwartungshaltungen und Maßstäben der nationalen Schu-le verbunden ist, in deren Kontext sich Şătrarii stärker als jedes andere Werk Lipattis stellt. Im Rahmen der rumänischen Schule ist das Werk in jeder Hin-sicht zeitgemäß, wobei es als Ausdruck plakativer Nationalromantik auch als Beispiel für die in Kapitel III.2 angesprochene »nachholende« Entwicklung gelten kann. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Lipatti für die »rumäni-sche« Kompositionsweise ausgerechnet das »Şătrarii«-Sujet wählt und in die-sem Fall also auch musikalisch auf eine scharfe Trennung zwischen der Țiga-ni-Kultur und der rumänischen Bauernmusik verzichtet. – Im Kontext der weiteren kompositorischen Entwicklung Lipattis wird sich dieser Ausgangspunkt eines »Style roumain« zu einer Synthese mit dem an-schließend kompositorisch im Mittelpunkt stehenden Neoklassizismus aus-prägen zu phasenweise jeweils unterschiedlich konzipierten Stilen der Ver-bindung – sei es in der Symphonie Concertante durch direkte Gegenüberstel-lung neoklassizistischer und volksmusikalischer Verfahrensweisen, in der Fantaisie pour piano solo oder der Aubade in subtiler Andeutung des volksmu-sikalischen Spektrums aus rumänischen Inspirationsquellen, oder im Noctur-ne (Thème moldave), in der Sonatine pour piano (main gauche seule) und den Danses Roumaines in wiederum explizit »rumänischer«, doch neoklassizistisch konzentrierter Tonsprache, so dass etwa das von Bărgăuanu und Tănăsescu getroffene Werturteil »prometteuse«45 genau die Tragweite dieses Ausgangs-punktes für Lipattis kompositorische Weiterentwicklung zum Ausdruck bringt.– Dass Şătrarii für Lipatti die vermutlich erhoffte Wertschätzung innerhalb der Nationalschule einbringt, zeigt sich in wiederholt gefeierten Aufführungen zu Lebzeiten, auch als rumänisches Aushängeschild, und an der auch weiter-hin kontinuierlichen Rezeption des Werkes. Nach der Uraufführung am 23.01.1936 in Bukarest mit dem Philharmonischen Orchester unter Jora, die Vancea als »besonderen Erfolg«46 bezeichnet, wird es »häufig unter Georges-cu aufgeführt«47 und auch im Ausland bekannt. So erklingt am 10.06.193744Grigoriu, Theodor: Dinu Lipatti: Aubade, in: Ders., Muzica şi nimbul poeziei, Bukarest 1986, S. 83; »simţi ochiul scrutător al Maestrului Jora […]. Tînărul va primi sugestia şi va porni în descifrarea a ce i se părea mai colorat în lumea antebelică, lumea ţiganelor şătrari, cu poezia ei misterioasă şi pătimaşă«.45Bărgăuanu / Tănăsescu, 1991, S. 199; »vielversprechend«.46Vancea, 1978, S. 279; »deosebit succes«.47Şoarec, 1981, S. 84; »deseori cîntată în concertele lui George Georgescu«.