232Werkanalysenstyle classique. Erklärte Intention war eine Suite im barocken Stil, inspiriert von den großen Meistern jener Epoche.«53 An dieser Stelle sollen im Sinne einer Gegenüberstellung zu den in Şătrarii beschriebenen Anfängen des »style roumain« anhand von kurzen Ausschnitten dieses offensichtlich bekanntesten Werkes Lipattis die Merkmale aufgezeigt werden, an denen Lipattis beginnende Orientierung am Neoklassizismus deutlich wird. Besonderes Augenmerk liegt auf den Elementen, die sich später als Komponenten seines Personalstils erweisen werden. Verglichen mit dem kurze Zeit vorher komponierten Şătrarii als erstes Schlüssel-werk des »style roumain« könnte das Concertino en style classique pour piano et orches-tre de chambre gegensätzlicher kaum sein. Das Werk ist – ähnlich wie die zeitgleich komponierte Toccata pour orchestre de chambre – mit direkten kompositorischen Cha-rakterimitationen barocker und klassischer Komponisten das plakativste Beispiel Li-pattis für einen konsequent an historischen Vorlagen orientierten Neoklassizismus. In der symmetrischen Aufteilung von je zwei Sätzen werden eine an Haydn angelehnte, verspielte Thematik und eine kontrapunktisch gesetzte Stimmführung im Sinne Bachs einander gegenübergestellt.54 Die beiden ersten, monothematisch angelegten Sätze tragen durch den Wechsel von Solo- und Tutti-Passagen die formalen Züge eines Concerto grosso – eine Form, die gemäß der rumänischen Musikwissenschaftlerin Carmen Stoianov während dieser Phase der rumänischen Schule häufige Verwendung findet, wobei sie als Beispiel das Concerto grosso pour orchestre von Lazăr (1927) nennt.55 Allerdings betont sie als Unterschied zu dieser Komposition, dass es Lipatti noch nicht um die Aneignung eines eigenen Stils im Sinne einer neuen Sprache gehe: »Jeder provozierende Aspekt wird vermieden, aber die musikalische Umsetzung lässt es zum Meisterwerk werden«.56Johann Sebastian Bach ist deutlich als Vorbild zu erkennen: Der erste Satz wird von einer oftmals rhythmisch kontrastierenden, im Klavier überwiegend in Sexten geführten Triolen-Bewegung getragen, in seinem perpetuierenden Puls an die fließende Motivik des Chorals »Jesus bleibet meine Freude« erinnernd, der zu Lipattis häufigst aufgeführten Konzertstücken gehört.57 Das »maestoso« schreitende, durch Pedaltöne gravitätisch unterlegte Thema, das die begleitende triolische Bewegung auch selbst in sich trägt, betont die neobarocke Anlage in der Reprise des ersten Satzes durch kontrapunktische Verarbeitung in einer kanoni-schen Engführung zwischen Celli und Klavier ab Takt 58. 53Şoarec, 1981, S. 85; »în perioada anilor 1934–1936 Dinu a schiţat cîteva compoziţii cărora însă nu le-a dat o formă definitivă. În acest răstimp începuse Concertino în stil clasic pentru pian şi orchestră de cameră, iniţial cu titlul de Suită în stil clasic. Intenţia mărturisită era să compună suita în stilul baroc inspirat de marii maeştri ai acelei epoci.«54Vgl. Mooser, 1957, S. 49.55Vgl. Stoianov, 2001, S. 95.56A.a.O., S. 94; »Este ocolit orice aspect ostentativ, dar realizarea muzicală îl recomandă ca lucrare de maturitate«.57Vgl. II.2.3 »Pianistische und kompositorische Weiterentwicklung«.