2.2 Weitere Entwicklungsphasen des »style roumain«255trierten Ausdrucks und klaren Aufbaus stimmt zugleich mit ästhetischen Kriterien des Neoklassizismus überein. In der Reduktion auf eine Hand zeigt sich eine entschiedene Form der Beschränkung der Mittel, mit denen dennoch ein komplexes Gefüge konstruiert wird. Die äußere Komprimiertheit spiegelt sich außerdem in der Kürze der dreisätzigen Sonatine, die in Lipattis eigener Interpretation100 eine Dauer von 7’46 Minuten hat. In der folgenden Darstellung sollen die wesentlichen charaktergebenden Struk-turelemente in Bezug auf ihre national- und personalstilistische Relevanz vorgestellt und eingeordnet werden.Allegro Der erste Satz weist drei markante Elemente auf, deren kontrastive Anlage in teils sukzessiver, teils simultaner Bauweise unerwartete Impulse setzt. Zu Beginn steht vor der erst in Takt 24 einsetzenden Exposition zweier griffiger Hauptthemen ein einleitender, ungestümer Fluss chromatisierter Skalen als eine große Klangbe-wegung. Der Höreindruck tonaler Orientierungslosigkeit wird verstärkt durch das enorme Tempo der Skalenfolgen und deren Modulationen, die oftmals im Tritonus-abstand zueinander stehen. In dem Perpetuum-Mobile-Charakter dieses unge-bremsten Bewegungsmotors zeigt sich eine Nähe zu dem Mittelsatz »Presto« der Fantaisie pour piano solo. Erst im siebten Takt löst sich aus dieser Bewegung ein zweites, kontrastierendes Element taktweise durchklingender Dreiviertelnoten einer Quint-Quartmotivik, das erste Orientierungspunkte setzt.100Aufnahme vom 04.03.1943, erschienen bei Electrecord Romania, 2001, EDC 430/431.