2.2 Weitere Entwicklungsphasen des »style roumain«265Hilda Jerea, archiviert bei der »Uniunea Compozitorilor și Muzicologilor din Româ-nia«, ist auch in Rumänien vergriffen. Die Danses Roumaines können in Lipattis Gesamtwerk in eine Reihe mit anderen tänzerischen Werken gestellt werden. Bereits 1937 entstehen Trois Danses pour deux pianos, von denen jedoch nur zwei Tänze erhalten, möglicherweise auch nur kom-poniert worden sind, im November 1938 mit dem neuen Titel Suite pour deux pianos versehen und als solche im Januar 1939 von Lipatti selbst aufgeführt wurden. Wei-terhin finden sich im Werkverzeichnis unveröffentlichte Deux Danses en style popu-laire roumain 1939. Hinzu kommen ein »Danse« als zweiter Satz in der Aubade und viele tänzerische Passagen innerhalb anderer Werke. Lipatti befasst sich also wie-derholt kompositorisch mit dem Genre des Tanzes, und das immer in Beziehung zur rumänischen Volksmusik, die die tänzerische Anlage in seinem Werk maßgeb-lich prägt.Zeno Vancea weist darauf hin, dass es schwer festzustellen sei, ob die Melodien der Danses Roumaines populären Ursprungs seien, lediglich von Lipatti stilisiert, oder ob sie eigene Erfindungen darstellten.114 Lipatti macht hierzu keine Angaben. Die einzige diese Komposition betreffende Aussage, aus einem Interview vom 29.09.1950 mit Franz Walter für Radio Genève stammend, bezieht sich auf die Frage nach dem Gleichgewicht zwischen dem Soloinstrument und dem Orchester: »Dans les Danses Roumaines, j’ai laissé au piano la part du parent pauvre, car l’orchestre est très grand et je ne considère pas que dans ces danses le piano soit autre chose qu’un piano obligé.«115 Die Tatsache, dass das Werk ursprünglich für zwei Klaviere geschrieben wurde, lässt allerdings erwarten, dass es sich doch um ein mehr als ob-ligates Klavier handelt – nicht nur eingebunden ins Orchester, sondern diesem auch gleichwertig gegenübergestellt.Die folgende Darstellung soll zum einen die explizit benannte und daher inten-dierte rumänische Anlage analytisch belegen, um für diese kompositorische Phase Lipattis Auffassung eines spezifisch rumänischen Stils herauszuarbeiten, zum ande-ren darstellen, welche Elemente des Personalstils als prägend für seine tänzerischen Kompositionen angesehen werden können.Vif Charakteristisches Merkmal des ersten Tanzes ist der zu Grunde liegende 7/8-Takt, ausgewiesen als 2+2+3, also durch die verlängerte dritte Zählzeit ein eindeuti-ger und typischer »Aksak«-Rhythmus,116 wie er etwa im Geamparale vorkommt, ei-nem Tanz, der in der Dobrudscha und auch in der Walachei, also den ländlichen Gebieten rund um Lipattis Geburtsort Bukarest getanzt wird.117 114Vgl. Vancea, 1978, S. 287.115Interview vom 29.09.1950 mit Franz Walter für Radio Genève, CD TAHRA-TAH 2.366–2.367; »In den Danses Roumaines habe ich dem Klavier den Part des armen Verwandten gelassen, weil das Orches-ter sehr groß ist, und ich finde, dass in diesen Tänzen das Klavier nichts anderes ist als ein obligates Klavier.«116Vgl. III.1.6.2 »Aksak«.117Vgl. auch Bărgăuanu / Tănăsescu: Dinu Lipatti compositeur, in: Revue musicale de la Suisse roman-de, Yverdon, Nr. 1 / 1986, S. 7.