2.2 Weitere Entwicklungsphasen des »style roumain«275setzter Terzfallmotive, die als Material des zweiten Themas deutbar sind, jedoch im Verlauf der ersten Fortspinnung bereits vorweggenommen wurden. Ihre exponierte Gestik wird harmonisch unterstrichen durch Liegeklänge in fünf chromatisch ab-wärtsführenden Rückungen des-c-ces-b-heses. 16 Takte vor Schluss beginnt bereits eine vorgezogene Schlussbildung. Signifikant wird sie dadurch, dass Lipatti sich dieses Verfahrens schon in der Fantaisie pour piano solo und Nocturne (en fa# mineur) bedient, wodurch es zum auffälligen kompositorischen Merkmal wird. Im vorletz-ten Takt wird bereits das Thema des nachfolgenden Tanzes angedeutet, und im dritten Tanz wird umgekehrt in der Schlusssteigerung das Thema des »Andantino« wieder aufgenommen werden. Allegro vivace Die zum Schluss des vorangegangenen Tanzes angeklungene moti-vische Vorwegnahme entlädt sich im »Allegro vivace« als zündendes Thema eines virtuosen Schlusstanzes, zunächst jedoch in zurückhaltender Artikulation kammer-musikalischer Klangreduzierung, die auch in der Orchesterfassung erhalten bleibt: Solistische Concertino-Passagen wechseln mit breit instrumentierten Tutti-Passagen ähnlich einem Concerto grosso, wie ja stellenweise auch im ersten Tanz. Dies kann als neoklassizistischer Zugriff gedeutet werden und ist typisch für Lipattis Verfah-ren der Reduktion, eine klanglich fast intellektuelle Zurückhaltung aufzubauen, die eine Distanz zu den stimmungshaft beschworenen Assoziationen schafft. Im Ver-lauf des Stückes wird der Satz symphonisch dichter, unterbrochen von der polypho-nen Passage einer dreistimmigen Fuge, zu der der zweite Themenkopf spitz umge-deutet wird – wiederum eine Betonung des klassisch-barocken Zugriffs. Das thematische Material wirkt tänzerisch universell. Exponiert wird ein im Anapäst und mit Punktierungen rhythmisiertes, schnelles giocoso-Thema, das Băr-găuanu und Tănăsescu als »joc de doi«125 identifizieren.126 Die Periode von zwölf Takten gliedert sich wohlausgewogen in drei viertaktige Gruppen, die mehr oder weniger deutlich oder durch Synkopen und Hemiolen versetzt wiederum in jeweils zwei Takte untergliederbar sind. Wiederum deutet die staccato-Klavierbegleitung gebrochener Dreiklänge eine Zymbal-Țiitură an, die, tonal bemerkenswert, das G-dur-Thema mit Es-dur-verwandten Akkorden begleitet. Damit behält die linke Hand die soeben ausgeklungene Tonart des zweiten Tanzes in mediantenverwand-ter Bitonalität. Aus den jeweils leitereigenen Tönen entsteht die strukturelle Gleich-zeitigkeit von h und b sowie von es und e, die als ständige Fluktuation wahrgenom-men wird, ein Kennzeichen der rumänischen Volksmusik. Von Bedeutung für den tonalen Aufbau ist außerdem eine auch in anderen Werken127 auffallende Berück-sichtigung des chromatischen Gesamtspektrums. Eine Betrachtung des gesamten Tonvorrats innerhalb des viertaktigen charaktergebenden Themenkopfes zeigt eine elftönige Leiter, die jeweils ebenso die beiden nachfolgenden Wiederholungen des diesmal nur zweitaktigen Themenbeginns bzw. der motivischen Weiterführung in 125Vgl. III.1.5.1 »Dansul«.126Vgl. Bărgăuanu / Tănăsescu, 1991, S. 183.127Vor allem in Fantaisie pour violon, violoncelle et piano, Symphonie Concertante, Première Improvisation.