280Werkanalysenmeilleur Poulenc.«128 Die lyrische Grundstimmung dieses Themas wird ab Takt 149 nach einer 24taktigen Fortspinnung ins Gegenteil verkehrt, da nun dasselbe Thema, transponiert nach Des und diminuiert, von legato nach staccato umartikuliert, in gleichförmigen Achtelnoten rhythmisiert und mit Akzenten versehen, als Fugenthe-ma dreistimmig verarbeitet wird – ein Verfahren, das sich auch im »Scherzo« der Aubade und dem Nocturne (en fa# mineur) findet. Durch die charakterliche Umwand-lung einer möglichst ähnlichen Materialgrundlage entsteht eine ironische Distanzie-rung vom soeben beschworenen Emotionsgehalt. Gleichzeitig geschieht dies in be-tont strenger Form der korrekt ausgearbeiteten Polyphonie, die dieser von Humor zeugenden freien Umwandlung ihren festen Rahmen gibt. Wiederum zeigt sich in dieser strengen fugalen Arbeit, ebenso wie in der der Klassik verbundenen moti-visch-thematischen Arbeit, die neoklassizistische Rückkehr zu den historischen for-malen Strukturen. Die Kombination der Elemente von Sonatensatz als Entwick-lungsform, von Fuge, ABA-Reihungsform und Variation kennzeichnen die meisten Werke Lipattis. Mit diesen Gestaltungsmitteln wird auch thematisches Material ver-gangener Sätze mit in das Finale verwoben, so dass es zur thematischen Verdich-tung kommt: Einer Reprise des ersten Themas in Takt 207 und dem Fortspinnungs-motiv folgt ab Takt 262 eine kanonische Engführung des zweiten Themas analog dem Verfahren im zweiten Tanz. In Takt 288 erfolgt die Wiederaufnahme des ersten Themas aus dem zweiten Tanz, das eine Schlusscoda in synkopiertem Tanzrhyth-mus einleitet, die mit dem ersten Themenkopf endet. Eine solche zyklische Konzen-tration der thematischen Fäden aus den verschiedenen Sätzen liegt ebenfalls im Concerto pour orgue et piano, in der Symphonie Concertante, der Fantaisie pour piano solo und der Aubade vor und erweist sich damit als für Lipatti typisches Verfahren. Die Analyse der Danses Roumaines gibt Aufschluss über konstituierende Aspekte in der späten Entwicklungsphase des »style roumain«. Augenfällig sind Charakte-ristika der rumänischen Volksmusik, die offensichtlich »wiedererkannt« werden sollen und entsprechend entschieden und plakativ eingesetzt werden:– Die rhythmische Asymmetrie des »Aksak«, aber auch die symmetrisch-zwei-schlägigen Tanzmetren der anderen Tänze,– die entweder subtile oder dominante Präsenz des Intervalls der übermäßigen Sekunde, – die Veränderung der Leittonfunktion ein und desselben Tones nach oben oder nach unten innerhalb der »chromatischen Rückwendung«,– modalharmonische Orientierung und mobile, fluktuierende Tonstufen, die in der Vertikale dissonante Reibungen erzeugen,128Zit. nach Bărgăuanu / Tănăsescu 1991, S. 184; »typisch französischem Geist […], ungezwungen und funkelnd wie der beste Poulenc.«