2.3 Weitere Entwicklungsphasen des »style français«289zielt. Hingegen überwiegt in dem Nocturne (en fa# mineur), ebenso wie in dem zwei-ten Satz des Concerto pour orgue et piano, das Prinzip der Überlagerung in sich star-rer, doch zeitlich ineinander fließender Elemente. Dies erinnert an den impressionis-tischen Ansatz, den Mersmann dem Komponisten Francis Poulenc zuschreibt, in-dem er durch Übertragung des pointillistischen Verfahrens der Malerei auf Pou-lencs Trois Mouvements Perpétuels aus der ständig modifizierten Wiederholung klei-ner selbstständiger Teilflächen »das fast mechanisierende, taktweise begrenzende Formungsprinzip«143 der »stereotype[n] Verdoppelung des einzelnen Bauglieds«144 definiert, das durch stetes Kreisen zu einer inneren Einheit finde. Hinweise auf einen »style français« können auch in Abgrenzung zu dem zwei Jahre zuvor komponierten Nocturne (Thème moldave) gesucht werden. In dem »fran-zösischen« Nocturne (en fa# mineur) fehlen periodische Geschlossenheit, kantable Li-nie und, weitgehend, motivische Imitation. Vielmehr verweist die vergleichsweise motivische Abgeschiedenheit der stimmlichen Ebenen auf den klanglich-expressi-ven Gehalt. Auch wenn das Nocturne (en fa# mineur) im Mittelteil einen deutlicheren Charakterwechsel vornimmt als es in dem uneingeschränkt monothematischen Noc-turne (Thème moldave) der Fall war, bleibt davon die grundlegende Atmosphäre des Stückes unbeeindruckt, da gerade durch die deutliche Zurücknahme des zaghaften Stimmungswechsels der ursprüngliche Ausdruck bestätigt wird. Vincenzi bezeichnet das Nocturne (en fa# mineur) als »das ›französischste‹«145 von Lipattis Werken. Vancea betont die diatonische und konsonante melodische Struk-tur als Kennzeichen des französischen Einflusses. Diese Glätte betrachtet er als Aus-nahme in Lipattis Schaffen, das er typischerweise vom Neoklassizismus und von chromatisch reicherer Melodik und Harmonik geprägt sieht.146 In der rumänischen Rezeption findet das Werk dementsprechend nur kurze Erwähnung als »moins in-spirée«147 oder »weniger gelungen«.148 Auch Bărgăuanu und Tănăsescu nehmen die Einschätzung Vanceas, es handele sich lediglich um eine Ausnahme, auf und verzichten auf eine eigene Werkbetrachtung. Die französische Orientierung sei Li-pattis Lern- und Suchphase zuzuordnen: »On y trouve les formules obstinées et les imitations caractéristiques d’une écriture un peu chargée«.149 Hingegen zeigen sich aus meiner Sicht in diesem Werk durchaus grundlegende Verfahrensweisen, die wegweisend für Lipattis persönlichen Kompositionsstil sind. Übergreifend zeigt sich in allen drei dargestellten Stimmebenen die kompositori-sche Intention der Durchdringung eines einzigen motivischen Keims durch abspal-tende Veränderung und rhythmische Umdeutung winziger Bestandteile, ein Ver-143Mersmann, 1928, S. 154.144Ebd.145Vincenzi, 2001, S. 5; »il brano più ›francese‹ di tutta la produzione di Lipatti«; u. a. verweist Vincenzi auf die tonartliche Parallele zu Maurice Ravels Klaviersonatine fis-Moll.146Vgl. Vancea, 1978, S. 285.147Bărgăuanu / Tănăsescu, 1991, S. 179; »weniger inspiriert«. 148Hîrlav-Maistorovici, o. J., S. 14; »Mai puțin izbutită«.149Vgl. Bărgăuanu / Tănăsescu, 1991, S. 179; »Man findet dort die eigensinnigen Wendungen und die charakteristischen Imitationen einer etwas überladenen Handschrift«.