2.3 Weitere Entwicklungsphasen des »style français«307Im Gegensatz zu den vergangenen Sätzen ist die Melodik, getragen von abfallenden und aufsteigenden Wellenbewegungen, chromatischen Läufen und betont akzentu-ierter staccato-Tonrepetition, von ausgelassener und ungebremster Bewegung, un-terstrichen durch die Charakterangaben »grazioso« und »giocoso«. In seinem tänze-rischen 3/4-Metrum und der im weiteren Verlauf redundanten Gleichförmigkeit er-innert der Satz an volkstümliche Weisen, wie sie von mechanischen Instrumenten, etwa Drehorgel oder gar Spieluhr, erzeugt werden können.175 Es schwingt also die Stimmung eines trivialen Genres mit. Das 16taktige Thema ist zweiteilig gegliedert, wobei sich die je acht Takte ihrer-seits in zwei- bis viertaktige Sinnabschnitte einteilen lassen. Durch unablässige Mo-dulation bzw. harmonische Mehrdeutigkeit durch fluktuierende Vorzeichen, ver-minderte und übermäßige Konstellationen, chromatische Läufe oder Ausrichtung der As-Leiter von es’ aus, wodurch diese in Takt 19/20 eine mixolydische Deutung erfährt, erhält das rhythmisch sehr eingängige Thema zusätzlichen Reiz. Eine zwei-te thematische Idee ab Takt 33 bewegt sich in verwandtem Gestus und spinnt gleichsam die volkstümlichen Achtelbewegungen des Tanzes weiter. Die Konfron-tation mit einer gegensätzlichen musikalischen Gedankenwelt geschieht lediglich in einem blockhaft abgeschlossenen Trio-Teil in as-Moll, der mit Ostinati und Liege-klängen die Bewegung abrupt stoppt, doch wird durch Verzicht auf Modulation und Überraschungseffekte Eingängigkeit und Geschlossenheit bewahrt. Diese artifizielle Konstruktion einer nachgeahmten Trivialmusik, die bis zum Ende des Satzes ohne weitere verfremdende Entwicklung durchgehalten wird, un-terstreicht den eigenständigen neoklassizistischen Zugriff, indem ein Genre der All-tagsmusik erfunden und in historisch und stilistisch anderen Konnexen verschränkt wird.Risoluto Nach dieser Atmosphäre unbekümmerter Verspieltheit überrascht der Fi-nalsatz zunächst durch seine strahlende klangliche Wucht. Aus dem Orgelpunkt C führt zunächst eine blockhaft aufgebaute Kadenz nach C-Dur, der Zieltonart des ge-samten Concerto pour orgue et piano. Das erste Thema fußt auf Brillanz, strahlendem und durch Dreiklänge und Läufe gefestigtem reinen C-Dur und wird als Fugato streng in Dux und Comes durchge-führt. Die kontrapunktischen Bewegungen sind unmittelbare Abspaltungsprodukte, so dass die Komposition bis Takt 76 vollständig im Kosmos dieses Themas bleibt. Erst in Takt 80 folgt nach überleitenden cis-Repetitionen ein ebenfalls achttaktiges, e-dorisches Seitenthema, ein lyrisch sich auf- und abbewegender Siciliano bzw. in dem giusto durchlaufenden Versfuß eines Trochäus eine Melodik rumänisch volks-musikalischen Charakters.176Obwohl es einen Gegenpol zu dem bisherigen kraftvollen Themenmaterial bil-det, folgt keine Beruhigung, sondern eine Durchführung mit ebenfalls zwei abge-175Auf ähnliche Weise verfährt Lipatti im ersten Satz der Fantaisie pour violon, violoncelle et piano.176Der Rhythmus findet sich als Nr. 171 in der oben bereits zitierten Systematik des »ritmic popular românesc« von Brăiloiu, 1967, S. 233.