310Werkanalysenche, neoklassizistische Anfänge angespielt,178 und Lipatti hätte sich in diesen Kon-text gestellt. Dazu würde passen, dass das Konzert mit einer für Lipatti typischen Figur endet, einem an den furios aufgebauten, ausklingenden Schlussakkord C2 an-gehängten kurzen Terzfall, der eine verspielt-ironische Zurücknahme der wuchti-gen Schlusscoda andeutet.179 Ein Resümee mit Blick auf die Ausgangsfrage zeigt folgende stilbildende Mittel des Concerto pour orgue et piano:– Die neoklassizistische Konzeption des Werkes ist evident. Basis ist die baro-cke Concerto-Form mit dem Zusatz eines eingeschobenen Scherzo-Satzes und in Verbindung mit einer angedeuteten Sonatenhauptsatzform, die je-doch nicht durch thematische Durchführung konsequent verfolgt wird. Spä-tere Anmerkungen Lipattis im Notentext gelten zudem einer Transkription für Klavier und Orchester, was die konzeptionelle Intention eines Solokon-zertes erkennen lässt. Thematische barocke Kennzeichen sind Fortspinnungs-melodik, Sequenzierung musikalischer Figuren, gleichmäßig pulsierende Motorik, polyphone Satzstrukturen, die Bewahrung und Hervorhebung der instrumentalen Einzelfarben, mit dem das lineare Stimmengeflecht durchhör-bar gemacht wird. Diese werden jedoch verbunden mit klassischen Verfah-rensweisen angedeuteter motivisch-thematischer Arbeit, melodischer Gerad-linigkeit, homophonen Passagen, Bemühen um ausgewogene Proportionen, Fugato im Finalsatz. Bezeichnende neoklassizistische Brechungen dieser Techniken sind die Brüche des gleichmäßigen Bewegungsablaufs, die unkon-ventionelle und mit Verzicht auf ein Orchester schmale Besetzung als grund-legende Entscheidung der Reduzierung, die Ökonomisierung der Sprache,180 etwa in den reduzierten Stützakkorden des ersten, dem lakonisch-stabilen Begleitgerüst des zweiten und der Redundanz des dritten Satzes. In Anleh-nung an das oben zitierte Cros-Gedicht könnte diese Reduzierung zusam-men mit dem Rückgriff auf ein kunstvoll-triviales Genre im dritten Satz als »Simplifizierung« des Ausdrucks aufgefasst werden und somit als bewusste neoklassizistische Arbeitsweise.– In dieser neoklassizistischen Konzeption zeigen sich die während der Pariser Studienzeit erworbenen Einflüsse der französischen Musikentwicklung, die daher als eine Komponente eines »style français« bei Lipatti aufgefasst wer-den können. Dennoch ist die Nationalstilistik keinesfalls eindeutig, vielmehr finden sich musikalische Materialien mehrdeutig zuordnebarer Herkunft hier 178Vgl z. B. Dömling, 1994, S. 84: »Mavra [wurde] zu einem regelrechten Flop: bestenfalls als Witz wollte man das Werk verstehen. […] In weit größere Irritation setzte Strawinsky sein Publikum im folgen-den Jahr mit dem Bläseroktett, seinem ersten Hauptwerk der Neoklassik.«179In der in der Academia Română vorliegenden Manuskriptfassung (Ms. Mz. Nr. 1232) folgt noch ein mit Bleistift notiertes Echo.180Pușcaș sieht in den intervallischen Grundpfeilern der Sprache, den reinen Quarten und Quinten, großen Sekunden und kleinen Terzen, eine Referenz an das Concerto für zwei Klaviere von Strawins-ky (vgl. Pușcaș, 1996, S. 43).