2.3 Weitere Entwicklungsphasen des »style français«311zu einer offenbar bewusst nicht einheitlichen, sondern unterschiedlich cha-rakterlich geprägten Musiksprache zusammen. Der rumänische wie französi-sche Hintergrund Lipattis zeigt sich wie oben beschrieben zum einen in der rumänischen Herkunft der tänzerischen Passagen, sowohl in der modalen Melodik als auch der Rhythmik der volksmusikalischen Bauerntradition, zum anderen in der Nähe zu impressionistischen181 Verfahren flächiger Klangstrukturen in den nocturnehaften Einschüben im zweiten und vierten Satz. Trotz deren stilistischer Offenheit sollte jedoch bedacht werden, dass Li-patti selbst diese Passage als französisch auffasst, da er das Nocturne (en fa# mineur), in dem er diese pulsierend-flächige Begleitstruktur erstmalig entwi-ckelt, explizit »français« tituliert. Aus der diatonisch-chromatischen Anlage spricht außerdem die Nähe zu Bartók und der osteuropäischen Moderne. Die Verarbeitung dieser Kennzeichen geschieht subtil und ohne das Bemühen um nationale Eindeutigkeit und Vordergründigkeit. Vielmehr dienen diese Materialien, zumal die universell angelegte Spielmusik-Motivik des dritten Satzes, als Ausgangspunkte für eigenständige musikalische Ideen, die, von möglichen implizierten Kontexten neutralisiert, zu einer handwerklich streng klassizistisch durchgearbeiteten Originalkomposition werden. Das Bedeutsa-me dieser Komposition liegt also auf der Verfahrensebene. – Damit ist bereits der Aspekt des Personalstils angesprochen. Die liedhaft ein-prägsamen oder motorisch-pulsierenden Themen erhalten ihre charakterliche Originalität durch unerwartete »Störungen« von Rhythmik, Artikulation und Harmonik und fußen doch auf stets ähnlichen intervallischen Keimzellen des Quinten- und Quartenraums und Motivbewegungen aus Läufen und Tril-lern. Kennzeichnend ist die dialogische Arbeitsweise der Instrumentalstim-men. Die charakterlichen Besonderheiten der beiden Instrumente lässt Lipatti in dialogischen Kontakt und Austausch treten, zielt aber nicht darauf, sie klanglich anzunähern. Allerdings kann zu Lipattis dezidierter Klangvorstel-lung der Orgel keine Aussage gemacht werden, da wie bereits erwähnt keine nachvollziehbaren Angaben zur Registrierung vorliegen. Auch auf der Makroebene entwickelt das Stück seine Eigenwilligkeit: Die spröden charakterlichen Brüche zwischen den einzelnen in sich geschlossenen Sätzen stehen einer vagen Verklammerung durch die Verwandtschaft der Andante-Einschübe gegenüber. Die Brechung mit der barocken Konzertform durch den scherzohaft eingeschobenen dritten Satz182 korrespondiert mit der harmonischen Sperrigkeit durch die unvermittelten schroffen Tonartwechsel der Sätze zwischen e-phrygisch, As-Dur und C-Dur. Bezogen auf die Grundtonart C-Dur repräsentieren diese Zentren die Teilung der C-Oktave in drei große Terzen entsprechend einem übermäßigen Akkord c-e-gis/as. 181So schreibt etwa Vincenzi zu den ostinaten Liegeklängen als Fundament für die Zweistimmigkeit der Klavierstimme im Trio des dritten Satzes: »il clima evocato è irresistibilmente debussiano« (Vincenzi 2001, S. 6).182Darin zeigt sich eine formale Ähnlichkeit zu dem Concerto für zwei Klaviere von Strawinsky.