2.3 Weitere Entwicklungsphasen des »style français«313von ihm herausgegebenen Cinq Chansons ausdrücklich auf der alleinigen Angabe »1941« als endgültiges Entstehungsdatum. Alle Lieder tragen persönliche Widmungen, die Cinq Chansons für den mit Lipat-ti befreundeten Tenor Hughes Cuénod,184 die Quatre Mélodies für Lipattis Mutter, seine Frau und für die mit Lipatti befreundeten Marie Sarasin und Germaine de Narros. Beide Zyklen werden 1981 und 1985 in Bukarest bei der Editura Muzicală verlegt. Daneben existieren drei unter den Nummern 3379, 3384 und 3385 in der »Uniunea Compozitorilor și Muzicologilor din România« archivierte Manuskripte bislang nicht ausgewerteter Liedskizzen. Aus diesen Werken und Fragmenten sol-len im Folgenden einige für Lipattis Liedschaffen grundlegende Kennzeichen vorge-stellt werden.In zeitlicher Nähe zu den Danses Roumaines entstanden, zeigt sich in den Cinq Chansons und Quatre Mélodies die Wandlungsfähigkeit von Lipattis Kompositionss-til: Anders als in der stilistischen Synthese rumänischer und französischer Einfluss-sphären etwa in der Fantaisie pour piano solo, der Première Improvisation oder der Au-bade betonen die Danses Roumaines ebenso wie die Lieder eine Trennung von »style roumain« und »style français«. Während des Zweiten Weltkrieges in Rumänien, also nicht nur räumlich weit entfernt von dem von Deutschland besetzten Frank-reich komponiert, ist die Datumsangabe des französischen Nationalfeiertages unter der »Sérénade«, »Fundățeanca, le 14 juillet 1941«, möglicherweise kein Zufall.185 2.3.3.1 Cinq Chansons de Verlaine op. 9In Bezug auf die gewählten Gattungsbezeichnungen »Chansons«186 und »Mélo-dies« stellt sich die Frage nach grundsätzlichen formalen Unterschieden zwischen den Liedzyklen. Innerhalb des Verlaine-Zyklus’ zeigen sich divergierende komposi-torische Ansätze, die ein auffallender motivischer und melodisch-harmonischer Far-benreichtum verbindet. Vertont werden die Textvorlagen »À une femme«, »Green«, »Il pleure dans mon coeur«, »Le piano que baise une main frêle« und »Sérénade«, die bei Verlaine den Zyklen »Romances sans paroles«, »Ariettes oubliées« und, in-nerhalb des Zyklus »Poèmes saturniens«, den Folgen »Melancholia« und »Caprices« entstammen. Die Lieder transportieren die melancholisch-sehnsüchtige oder zerrissene Grundstimmung der Textvorlagen auf musikalisch sehr unter-schiedliche Weise. »À une femme«, in dem Vincenzi Ähnlichkeiten sieht zu »Chan-son de la mariée« aus Ravels Cinq Mélodies Populaires Grecques (1907),187 kehrt krei-send immer wieder zu Umspielungen einer d-Moll- und D-Dur-Tonalität oder der Wiederholung des Grundtons zurück. Auf der rhythmischen Ebene entspricht dem ein bis kurz vor Ende durchlaufendes Triolen-Ostinato, unterbrochen vom ersten 184Vgl. II.4 »Genf 1943–1950«.185»Il pleure dans mon coeur« ist allerdings drei Tage später datiert, am 17.07.1941.186In der rumänischen Übersetzung, die in Bezug auf die Mélodies ebenfalls die Bezeichnung »Melodii« verwendet, werden die Chansons mit »Lieduri« übertitelt, was wiederum die Unterscheidung zwi-schen beiden Gattungen hervorhebt und den Kunstliedcharakter der Cinq Chansons betont. 187Vgl. Vincenzi, 2001, S. 7.