316Werkanalysenvon dessen Vertonungen Lipatti mehrere Bände besitzt.193 Der sehr gestisch dekla-mierende erste Teil mündet jedoch schon nach 22 Takten in einen ausgesprochen homogenen, sicilianohaft-beruhigten Zwischenteil, der »ce berceau soudain«194 ebenso wörtlich wie zartfühlend und schlicht gesummt am Ende auskomponiert. Ein an den Anfang angelehnter kurzer C-Teil komplettiert die formale Dreiteilung des Liedes, die Lipattis Ausdeutung des zweistrophigen Textes darstellt, mit einer musikalischen Rückkehr zum textlichen Anfang, der »main frêle«,195 mit größerer Eindringlichkeit als bei Verlaine die sich unverhofft regenden und doch wieder ersterbenden Klänge mit der Frage »Qu’as-tu voulu?«196 am Ende noch einmal wie-derholend. Unverkennbar sind also auch hier Lipattis Interpretationsschwerpunkte: Textwiederholungen erscheinen durchweg in neuer musikalischer Verarbeitung, ih-nen entspricht keine bloße Wiederholung des musikalischen Geschehens.Die abschließende »Sérénade« behält den Siciliano-Rhythmus bei und weist ebenfalls einen sehr aktiven Klavierpart auf. Charakteristisch ist eine harmonische Wendung, eine durch Aufwärtsrückung in kleiner und großer Sekunde vollzogene Mediantenverbindung, die auch an exponierter Stelle im Schlussaufbau des Final-satzes der Aubade vorkommt, ihre schillernde harmonische Wirkung gezielt einset-zend. In der »Sérénade« findet sie sich in den Takten 12–16, 47/48 sowie ab Takt 68 und ab Takt 124 wiederholt, an ersterer Stelle ähnlich rhythmisch betont wie in der Aubade: Notenbeispiel 92: D. Lipatti: Cinq Chansons, »Sérénade«, Editura Muzicală, 1985, Takte 12–15. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Editura Muzicală.193Vgl. Inventaire de la Bibliothèque des partitions de musiques et des disques de Dinu Lipatti, legués au Conservatoire de Musique de Genève en 1983.194»Diese Wiege auf einmal«.195»Schwachen Hand«.196»Was hast du gewollt?«.