2.3 Weitere Entwicklungsphasen des »style français«321mit »Neige« (3384) und »Décidé« (3385), allerdings ohne Verfasserangabe des Tex-tes. Das nicht betitelte Fragment Nr. 3379 beginnt mit den Worten »Mon cher Paul«, das Ende kann entziffert werden als Schlussformel »je reste votre devoué Dinou«.205 Die Vermutung liegt nahe, dass der umgangssprachlich formulierte Text von Lipatti selbst stammt, sich an einen Freund richtend. Dieser Freund könnte Paul Sacher sein, da Lipatti diesem gegenüber seine Arbeit an weiteren sieben Mélodies brieflich erwähnt206 und da in den Zeilen von finanziellen Dingen die Rede ist und Paul Sa-cher zu einem Schweizer Unterstützerkreis für Lipatti während dessen aufwändiger medizinischer Behandlung gehört.207 Wie in den übrigen Fragmenten ist jedoch auch in dieser Skizze das Entziffern der Handschrift erschwert durch eine blasse Schrift, flüchtige Buchstabenformen häufig ohne Akzentsetzung, uneindeutige Wortabstände und sehr enges Ineinanderschreiben der Silben gemäß der kurzen Notenabstände. Das zweieinhalbseitige Manuskript dieses ersten Liedes ist voll-ständig ausgearbeitet und besteht aus 34 Takten. Inhaltlich geht es um ein Scheck-konto, »le numéro de mon compte de chèque«,208 mit ›Flug‹ oder ›Sprung‹ in Ver-bindung genannt und dem Ansinnen, dieses leichten Fußes hinter sich zu lassen, Metaphern, die sich im weiteren Verlauf als dem Tanz zugehörig erweisen. Man kann von einem musikalischen Scherz sprechen, denn z. B. wird der Singstimme ein Ambitus von fast drei Oktaven zugemutet, und die beiden Schlusssilben »Di-nou« verbindet ein Abwärtsglissando aus höchster Tonlage. Sie enden mit der oktavier-ten Rufterz g - e, auf der zu Beginn des Liedes »cher Paul« erklungen war. DasWort-Ton-Verhältnis ist ein direktes. Der unbeschwerte Wortlaut des Textes korre-spondiert mit einer kreisenden Motivik im 3/4-Takt, die Klavierbegleitung passt sich der Melodiebildung unauffällig an, diese in Vor- und Zwischenspiel imitierend. 205»Ich verbleibe Ihr ergebener Dinu«.206Vgl. Brief vom 20.05.1949 an Paul Sacher, in: Sacher, 1951, S. 80.207Vgl. II.4 »Genf 1943–1950«.208»Die Nummer meines Scheckkontos«.