2.4 Werke der rumänisch-französischen Stilsynthese 329In straffer halbtaktiger Pulsgebung bewegt sich die kleinschrittige, doch mit mar-kanten Quint- und Quartschritten versehene Melodieführung zunächst innerhalb verwandter Tonarten, bevor sie ab Takt 13 durch modulierende thematische Rückungen deutliche harmonische Brüche vollzieht. Rhythmisch charakteristisch ist eine übergebundene Achtelnote in Verbindung mit drei auftzweifacher manuskript-versionaktigen Achtelnoten in Takt 8, eine Figur, die sich in zahlreichen Themen in Werken Lipattis findet und der Phrasierung einen tänzerischen Zug verleiht. Sie ist auch in rumänischen Volkstänzen anzutreffen.218 Ein weiteres auffälliges Merkmal findet sich in den chromatischen Stimmführun-gen der flächigen Streicherbegleitung: Durch die fluktuierende Unbeständigkeit der Skalenstufen – f und fis, a und as, g und gis, h und b jeweils im Wechsel – entwickeln sich in den Takten 3 und 4, 9 bis 11 sowie 12 und 13 Stimmführungen, die in Form einer chromatischen Rückführung des vorherigen Tonanstiegs eine absteigende Leittonfunktion übernehmen. In der Fantaisie pour violon, violoncelle et piano liegen lediglich in Begleitfiguren versteckte Andeutungen dieser »Formel der chromati-schen Rückwendung« vor – im Violoncello sogar quintparallel e-f-es-d und A-B-As-G in den Takten 3 und 4219 – weshalb von einer Vorbereitung auf die tragende Ein-arbeitung dieser Wendung in den späteren Werken Nocturne (Thème moldave), Sona-tine pour piano (main gauche seule), Danses Roumaines und Aubade gesprochen werden kann. Die ab Takt 16 einsetzende Fortspinnungsphase nutzt neben abgespaltenem Themenmaterial Orgelpunkte und ostinate Strukturen, die in ihren rhythmischen und intervallischen Verläufen derart schematisch aufgebaut sind, dass sie geradezu experimentelle Züge tragen: Im Klavierpart schreitet ein repetierendes Sekundmo-tiv eine auf h’ beginnende Skala aufwärts, im Kontrast zu dem darüber gehaltenen Orgelpunkt h’’ staccato artikuliert, während im Doppelgriff der Violinstimme Vari-anten des Tones b’ mit im Quartraum darunter liegenden Halbtonschritten chroma-tisch auf- und abwärts gespielt werden. Auf diese Weise überlagern sich b- und h-Skalen bitonal. Eine ähnlich mechanistisch-experimentierend wirkende Bauweise liegt im 1939 komponierten Concerto pour orgue et piano vor, wo sich im dritten Satz, »Allegro grazioso«, Assoziationen an starre Abläufe von Drehorgelmotiven aus-komponiert finden.220 Im Gegensatz zum historisch imitierenden neoklassizisti-schen Stil von Lipattis Concertino en style classique zeigt sich in solchen Passagen eine in Lipattis späteren Werken weiterverfolgte neoklassizistische Kompositionsweise von spielerisch-experimenteller Arbeit mit Verfahren des Aufbrechens fasslicher Motive und der Vereinbarung von Simplizität und ihrer unerwarteten rhythmi-schen, harmonischen wie melodischen Brechung. 218Vgl. III.1.5.1 »Dansul«.219So auch in den Takten 30, 33 und 34.220Vgl. IV.2.3.2 »Concerto pour orgue et piano«.