2.4 Werke der rumänisch-französischen Stilsynthese 341Lediglich in den Themenköpfen klingt der ganz zu Anfang angedeutete und zum Schluss rein erklingende E-Dur-Akkord an, während der dazwischen liegende Ver-lauf keine tonale Orientierung zulässt. Vielmehr erfolgt die formale Entwicklung über rhythmische Konturen, die aus den neobarock-strengen Stimmbeziehungen re-sultieren. Erst zum Ende hin wird dieser rhythmisch-metrische Halt aufgelöst. Der im pianissimo zurückgenommene Schlussakkord wird über ein langsames Ausklin-gen in Aktionstempo und Dynamik vorbereitet, wie es auch manche späteren Wer-ke kennzeichnet, etwa das Nocturne (en fa# mineur), den ersten Satz der Fantaisie pour piano solo oder den Mittelsatz der Symphonie Concertante. Die Verlangsamung vollzieht sich auch hier parallel mit motivischen und harmonischen Reduktionen, etwa Tonrepetitionen im Violoncello in den vorletzten Takten des Satzes und Liege-klängen im Klavier.Die zeitgleich mit den neoklassizistischen Werken Concertino en style classique und Toccata pour orchestre de chambre entstandene Fantaisie pour violon, violoncelle et piano fällt durch ihre erheblich progressivere Tonsprache auf. Nicht nur die konsequente zwölftonorientierte Arbeitsweise in den Mittelsätzen erscheint umso erstaunlicher, als sie in Lipattis Werk einmalig bleiben wird. Auch erhärten etwa die konsequente Verwendung von Chromatik, chromatischen Verschiebungen innerhalb geschlosse-ner Pentachorde und tonalen Verfremdungen und Überlagerungen einen atonalen Eindruck auf weiten Strecken. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass be-stimmend für die tonale Entwicklung nicht die Vertikale, sondern vielmehr die Ho-rizontale ist, da nicht von einem akkordischen Gefüge ausgegangen wird, sondern von einer für die Modalharmonik kennzeichnenden Fortspinnung des Melodischen, dessen monodischer Ursprung etwa noch in unisono-Stimmführungen offenbar wird. Hier sind auch Verbindungen zu anderen Verfahrensweisen erkennbar, die vor allem spätere Werke Lipattis prägen. So werden exponierte stereotype, rhythmi-sche oder klangliche »Muster« durch subtile Variierung weiterverarbeitet, als eine stetig fortgesponnene intensive Konzentration eines einzigen Motivkerns – eine ebenfalls in der rumänischen Volksmusik verankerte Grundanlage. Weitere Bedeutung für die Entwicklung von Lipattis Personalstil sind die An-deutung der »Formel der chromatischen Rückwendung«, bitonale Verschränkun-gen und die konsequente Strenge in der Durchführung auch über neobarocke und neoklassizistische Verfahrensweisen hinaus. Laut Bărgăuanu und Tănăsescu gibt Li-patti der Fantaisie pour violon, violoncelle et piano den Zusatz »cosmopolite«.226 Diese Bezeichnung könnte Aufschluss geben über ein Anliegen Lipattis, verschiedene Ein-flüsse bewusst zu machen, ohne diese national festzuschreiben. Der europäischen Moderne entstammende Elemente zwölftonorientierten Denkens, chromatisch auf-gebrochene Skalenmodelle oder der an Strawinsky erinnernden Arbeit mit stereoty-pen Patterns verbinden sich homogen mit modalharmonischen Bestrebungen, über-mäßigen, auch in der rumänischen Volksmusik vorgefundenen Intervallen oder An-sätzen rhythmischer Heterophonie. Doch keines der genannten Kennzeichen ist völ-226Vgl. Bărgăuanu / Tănăsescu, 1991, S. 189.