2.4 Werke der rumänisch-französischen Stilsynthese 355konstitutiv ist. Das gesamte thematische Material der einzelnen Sätze ist auf einige Kernelemente zurückführbar, so dass Verwandtschaften der Sätze untereinander bestehen. Unterschiedlich sind die genutzten Verfahrensweisen klassischer Ent-wicklungsprinzipien und impressionistischer Klangformung. Für den Gesamtein-druck entscheidend ist jedoch eine neoklassizistische Arbeitsweise, die mit vorge-fundenen Materialien unterschiedlichster Herkunft – Barock, Klassik, Jazz, rumäni-sche Volksmusik – frei verfährt und auf effektvolle Weise experimentiert. Gerade dadurch heben sich die volksmusikalischen Materialien von ihrer exponierten Stel-lung in den Danses Roumaines oder der Suite Șătrarii ab. Mittels ostinater oder ste-reotyper Motivbildung werden sie hier im Sinne des expressionistischen »Stil barba-ro«242 reduziert, verdichtet oder überzeichnet. Äußeres Kennzeichen der Überlage-rungen unterschiedlicher Materialien ist die in der Symphonie Concertante häufige Bi- und Polytonalität, die die Unabhängigkeit der nebeneinander laufenden Stränge unterstreicht. Manche ostinaten, oftmals quartenharmonisch geprägten Strukturen sind zu-dem typisch für eine modalharmonische Motivarbeit. Der Einfluss Strawinskys ist nicht nur in Beharrlichkeit und perkussiven Klangpassagen unverkennbar. Der Mu-sikwissenschaftler Marco Vincenzi zieht auch in der Arbeit des Kontrapunkts Paral-lelen zu Strawinsky und weist auf dessen Concerto (1935) für zwei Klaviere als Be-zugspunkt Lipattis hin, da dieses Werk Analysegegenstand in Strawinskys Kompo-sitionsunterricht gewesen sei.243 Die Nähe zu den in Kapitel III.3.2.2 dargelegten, für Strawinskys Neoklassizismus typischen Verfahrensweisen, aber auch der »Idee des virtuosen Spiels«,244 zeigt sich besonders im Vergleich zu dessen ebenfalls nach dem Bau eines Concerto grosso konzipierten Capriccio (1929) und dessen interessan-terweise gleichzeitig entstehendem Concerto Dumbarton Oaks. In diesen Zusammen-hang lassen sich etwa auch die Ecksätze von Bartóks Divertimento (1939) und der Fugenteil von Silvestris Preludiu și Fuga (Toccata) pentru orchestră (1955) stellen. Für das kühne neoklassizistische Aufbrechen ursprünglicher Sinnzusammenhänge der verwendeten musikalischen Materialien und deren Neuverarbeitung zu einem die französische wie die rumänische Moderne widerspiegelnden virtuosen Konzert-stück ist die Symphonie Concertante ein Schlüsselwerk. Sie ist ein plakativer und kompositorisch progressiver Ausdruck der ebenbürtigen Vermittlung und Verbin-dung von westlicher und rumänischer Musikkultur. Im Gesamtprozess hin zur Syn-these beider Richtungen markiert das Werk einen Zwischenschritt, da es in der eige-nen, orignellen Handschrift noch keine Einheitlichkeit aufweist, sondern vielmehr das Aufgegriffene bewusst in seiner Eigenheit, wenn auch neu strukturiert, wirken lässt. Eine subtil erfolgende und sich organisch vollziehende Synthese, die der un-terschiedlichen Herkunft von musikalischen Elementen keine eigene Betonung mehr zukommen lässt, wird sich erst später, in der äußeren Distanz zu Paris, aus-prägen. 242Vgl. III.2.5.1.2.3 »Stil barbaro«.243Vgl. Vincenzi, 1988, S. 48.244Scherliess, 1998, S. 219.