2.4 Werke der rumänisch-französischen Stilsynthese 361Die Gestaltung dieses vor allem innerhalb des Klavierparts erfolgenden Höhe-punkts erinnert an die ähnliche Gestaltungsweise im Nocturne (Thème moldave) (1937), mit dem die Première Improvisation im Umfang verglichen werden kann, de-ren Höhepunkt ebenfalls rhythmisch triolisch und durch Verharren auf einem durch Steigerungsprozesse in Dynamik und Tonhöhe zuvor erreichten Akkord er-langt wurde und sich ebenso umgehend im folgenden Takt wieder in die begleiten-de Grundierung verflüchtigte.250 In Takt 27 bricht die thematische Entfaltung unvermittelt ab, und die Sekund-wechselbewegung cis-d wird von der Geige aufgenommen. Sie verbleibt während der folgenden sechs Takte, dem vierten Formblock, in ostinater kanonischer Imitati-on im Wechsel der beiden Streicherstimmen, wobei das Violoncello die Schlusstöne e’’ und a’’, überlappend mit dem Beginn des folgenden Formblocks, klanglich breit ausspielt mit der Vorgabe »harmonique«, vorgesehen vermutlich als scharfe Klang-farbe von Flageoletts.251 Das Klavier behält während der Takte 28 bis 31 einen vier-stimmigen Bordun bei, verteilt auf je zwei Außenstimmen, während zwei Innen-stimmen in Gegenbewegungen aus Achteln und punktierten Vierteln eine rhythmi-sche Polyphonie bilden. In Takt 32 jedoch übernimmt das Klavier die sekundschrit-tige Motivik der Streicher und führt sie zur Verselbstständigung durch jeweils halb-schrittige Rückung und parallele Quartführung, die, vorbereitet durch Ligaturen in den vorangegangenen Takten, eine hemiolische Verlagerung halber Notenwerte vornimmt. Ähnlich verfährt Lipatti in beiden Nocturnes und auch im dritten Satz des Concertino en style classique, wo gerade bei motivischen Wiederholungen durch metrische Verlagerungen neue Akzente gesetzt werden. Diese Zwischenspiel-Passa-ge gewinnt an weiterer Bedeutung dadurch, dass sie an der Stelle des »Goldenen Schnitts«252 ansetzt. Die sie bestimmende Auffächerung des Sekundraums in Halb-tonschritten nach oben und unten erinnert wiederum an das Verfahren in der Sona-tine (main gauche seule):Notenbeispiel 117: D. Lipatti: Première Improvisation, in: Șoarec, 1981, S. 115, Takte 34–36, Klavier. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Editura Muzicală.250Vgl. IV.2.2.1 »Nocturne (Thème moldave)«.251Die vorliegende Druckfassung zeichnet in weiten Strecken der Violoncellostimme fälschlicherweise einen Bratschenschlüssel anstelle des Tenorschlüssels vor.252Auf dem zweiten Schlag von Takt 33.