2.4 Werke der rumänisch-französischen Stilsynthese 389pour piano solo die Abkehr vom Neoklassizismus augenfällig. Weder trägt sie die verspielten Züge griffig gegliederter und tänzerisch-ausgelassener Melodik, noch sind direkte Anleihen bei historischen Komponisten erkennbar. Vielmehr zeigt sich eine Nähe zu Zeitgenossen wie Enescu, Bartók oder auch der Fortführung französi-scher Strömungen, etwa der Nocturne-Tradition. Folgende Besonderheiten des Per-sonalstils, der Nationalspezifik und der kompositorischen Einordnung ließen sich analytisch feststellen: – Die Gattung »Fantasie« wird formal als eine Folge von Charaktersätzen aus-gedeutet. Maßgeblich sind weniger strenge Entwicklungs- als lose Reihungs-formen mit variativen Verfahren, vor allem im vierten Satz. Auf der Verar-beitungsebene zeigen sich die formalen Freiheiten der spätromantischen Fan-tasie-Gattung vor allem in der Wandlungsfähigkeit des exponierten Materi-als zwischen liedhafter Schlichtheit, spätromantischer Klangfülle, impressio-nistischer Klangorientierung und strenger Polyphonie. Die vielschichtigen Ausdruckssgehalte sind stärker auf ihre emotionale Intensität gerichtet als z. B. die dagegen berechnend-konstruiert wirkenden Charakterbrüche in der Symphonie Concertante, die nüchterne Anlage des Concerto pour orgue et piano oder die Verspieltheit der Sonatine pour piano (main gauche seule). Im scheinbar ungesteuerten Fluss wechseln kontemplative, tänzerische und hart-perkussi-ve Ausdrucksmittel. Ein bezeichnendes kompositorisches Verfahren ist die Heterophonie, da sie die melodische Linienführung zugleich erhält und bricht. Auffällig ist die kompositorische Nähe zu George Enescu, der ja im Entstehungszeitraum regelmäßiger Kammermusikpartner Lipattis ist, nicht nur in der Ausprägung dieser heterophon-variativen Satztechnik, die sich in der Linienführung monodisch-unisono orientiert bei gleichzeitigem impres-sionistisch-auflösenden Zerfasern der Fäden und impressionistisch klang-orientierter Farbgebung, sondern auch in der Flüchtigkeit der musikalisch aufgebauten Charaktere, die sich stets als abrupt revidierbar und wandlungs-fähig erweisen, improvisatorisch anmutende Materialverarbeitung und von rumänischen Liedformen gefärbte Themen, die zunächst zwar verträumt-nostalgisches Empfinden erlauben, doch plötzlich die Charakteristika ihrer volksmusikalischen Herkunft verlassen. – Auffällig ist die Abkehr von klarer Linearität, ironisch-verspielten Elementen und heiteren Überraschungseffekten, wie sie frühere Werke, aber auch die ein Jahr später komponierte Sonatine pour piano (main gauche seule) oder die erst 1949 komponierte Aubade kennzeichnen. Neoklassizistische Kategorien der »sérénité«, »pureté« oder der »musique pure«279 sind auf die Fantaisie pour piano solo nicht anwendbar; vielmehr scheint die von ihm selbst so be-nannte »Nostalgie«, die auch schon das in derselben Tonart komponierte Nocturne (en fa# mineur) prägte, für eine gegensätzliche Stilebene zu stehen, die zwar bekannte kompositorische Verfahren aufnimmt, doch diese eigen-279Vgl. III.2.5.1.2.4 »Neoklassizistische Verfahrensweisen«.