2.4 Werke der rumänisch-französischen Stilsynthese 391der Fantaisie pour piano solo dauerhafte, doch dezente Präsenz sich in den nachfol-genden Werken, der Sonatine pour piano (main gauche seule) und der Aubade, als do-minant und als markantes Wesenszeichen etablieren wird. Weitere Kennzeichen, die mit Blick auf die vorherigen Werke nun als typisch be-zeichnet werden können, sind das polyphone Durchdringen der thematischen Ideen mit reich alterierenden und modulierenden Stimmen und rhythmischer Vielfältig-keit, die dichte Komplexität durch Überlagerung einzelner, schlichter Bausteine, die Konsequenz in der konzentrierten Wiederholung von Elementen, die hier in der Re-duktion auf einen Zentralton kulminiert, die Beharrlichkeit der Motive, die sich in der steten Wandlung von Subtilität und Dominanz behaupten, und der perkussive Ausdruck, der hier, anders als im Finalsatz der Symphonie Concertante, zu einem in-tegrativen Bestandteil fortwährenden Flusses wird.Wie schon in der Première Improvisation resultiert die Entwicklung der Sätze aus anfänglich komprimierten Motivzellen, zu Beginn des ersten und des letzten Satzes sogar aus nur einem Ton. Zum stets wiederkehrenden Merkmal von Lipattis Kompositionen wird außer-dem die zyklische Arbeit, die sich in der steten, mal auffälligen, mal angedeuteten Einflechtung von thematischen Ideen aus vorangegangenen Sätzen zeigt, auch wenn insgesamt nicht von einer zyklischen Durchkomposition die Rede sein kann, weil die musikalischen Hauptthemen der Sätze bewusst eigenständig und kontrast-reich entwickelt werden. Vor allem im dichten Finale dient die Retrospektive der Konzeption einer kompositorischen Einheit. Die Fantaisie pour piano solo offenbart ein fortgeschrittenes Stadium von Lipattis Per-sonalstil, in dem sich bekannte Züge auf neue Weise verarbeitet wiederfinden und einzelne französische bzw. westliche und rumänische Einflüsse sich im Sinne einer Synthese zu einer neuen Ausdrucksweise verbinden. Auch wenn Bărgăuanu und Tănăsescu »un certain manque d’unité«282 monieren, indem sie noch einzelne be-stimmbare Einflüsse attestieren,283 zeigt sich hier die Selbstständigkeit der Musik-sprache, die sich im Vergleich zu den während Lipattis Studium entstandenen Wer-ken von bekannten Strömungen löst und die Originalität eigener Wege sucht. Be-dauerlicherweise steht die Fantaisie pour piano solo zugleich am Ende von Lipattis Hauptschaffensphase, weshalb die genannten Aspekte einer kompositorischen Ver-bindung der verschiedenen Einflussbereiche, die hier an einem wichtigen Entwick-lungspunkt steht, sich nicht in diese Richtung kontinuierlich fortsetzen werden. Die nachfolgenden Werke zu Anfang und Mitte der 40er Jahre, Danses Roumaines, Cinq Chansons und Quatre Mélodies, werden zwar stilistisch eine geschlossenere Einheit und damit kompositorische Reife aufweisen, doch wiederum eine klare Trennung zwischen »style roumain« und »style français« vornehmen. Zu einer Synthese der 282Bărgăuanu / Tănăsescu, 1991, S. 181 ; »ein gewisses Fehlen einer Einheit«.283Vgl. ebd.