2.4 Werke der rumänisch-französischen Stilsynthese 393Prélude Das »Prélude« der Aubade beginnt mit einer agogisch frei klingenden, tatsächlich jedoch rhythmisch und metrisch exakt vorgegebenen Flötenintroduk-tion. Das einleitende Thema der Takte 1–8 entsteht aus dem Zentrum zweier im höchsten Register der Flöte lang ausgehaltener, mit Vorschlägen verzierter Noten a’’’, aus denen heraus sich eine schnell bewegte, punktierte und abwechselnd chromatische und diatonische Abwärtsbewegung entwickelt, die jedoch nicht kontinuierlich linear verläuft, sondern sich verspielt in der begonnenen Motivik aufhält: Notenbeispiel 143: D. Lipatti: Aubade, Rongwen Music, 1958, 1. Satz, Takte 1–9, Flöte. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Broude Brothers Limited. © Copyright 1958 Rongwen Music, New YorkWie auch in Lipattis Indroduction et Allegro pour flûte solo ist die Assoziation von Flötenmusik aus der rumänischen Bauern- und Hirtentradition unmittelbar: Der rezitative Duktus, »improvvisando«, die Durchbrechung lange ausgehaltener, mit Vorschlägen versehener Notenwerte durch kurze Sechzehntelpassagen, der Wechsel von rubato und accelerierenden Motiven, also die Verbindung von Fließen und Innehalten erinnert an volksmusikalische Beispiele wie die Klagelieder »Bocet«,288 »Bocete după tâneri«289 oder »Cînd a pierdut ciobanul oile«.290 Formale Parallelen können auch zu Balladen-Vorspielen, zu Introduktionsformeln der Doina oder zu Vortakt und melodischen Elementen verschiedener Joc-Formationen gezogen werden, zumal durch die Vorgabe »giocoso« der tänzerische Charakter unterstrichen wird. Auffällig sind die fluktuierenden Tonstufen, typisch für die 288Vgl. Notenbeispiel 12.289Vgl. Notenbeispiel 13.290Vgl. Notenbeispiel 33.