398WerkanalysenNotenbeispiel 146: D. Lipatti: Aubade, Rongwen Music, 1958, 2. Satz, Takte 19–23, Oboe. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Broude Brothers Limited. © Copyright 1958 Rongwen Music, New YorkDas Notenbeispiel zeigt die modifizierte Form des »Breaza«, wie sie auch in der Reprise aufgenommen wird. Die Veränderung liegt in der Rhythmisierung: Im Unisono aller Stimmen über der Fächerung eines Tonraums von fünf Oktaven wird der Melodieverlauf durch Diminution der Notenwerte zeitlich gerafft, so dass das Motiv ein Achtel früher endet und durch eine sforzato-Zäsur am Ende des Taktes abgeschlossen wird. Durch diese Wendung entsteht die überraschende Wirkung, die in den folgenden Takten dadurch erhalten bleibt, dass sie nicht regelmäßig, sondern immer wieder unerwartet eintritt. Dieser sforzato-Effekt unterbricht als Akkord jeweils das Unisono. Die Harmonik lässt taktweise in den Akkorden eine chromatische Abwärtsbewegung erkennen von H-Dur in Takt 19, B-Dur in Takt 20 und A-Dur in Takt 21. Sie erinnert an verwandte chromatische Bewegungen z. B. im Finalsatz der Symphonie Concertante oder dem Anfangssatz des Concerto pour orgue et piano. Diesen Sätzen ist gemeinsam, dass durch die Verbindung eines festen Ordnungsgefüges und dessen überraschendem Durchbrechen durch spielerische Elemente ein ironischer Charakter entsteht. Ab Takt 24 entwickelt sich wiederum mit den Mitteln von Imitation und Krebsumkehrung eine Fortspinnung, die sich in einer Trillerkette sukzessiv einset-zender Instrumente dominantisch aufstaut und durch den dynamisch zurückge-nommenen Sechzehntel-Auftakt den A-Teil beschließt. Rückblickend lässt sich durch die Verarbeitungstechniken eine Entwicklung des originalen rumänischen Tanzes in der Einstimmigkeit hin zu dessen Steigerung in der Komplexität von dissonanter Harmonik, Dichte der miteinander verwobenen Stimmen und des rhythmischen Variantenreichtums feststellen. Der B-Teil bezieht seine markanten Stimmungselemente auch aus dem Bereich des Jazz. Dessen Charakteristik wird vor allem von Rhythmus, Harmonik, Artikulation und Begleitpatterns getragen. Das Hauptthema wird durch einen Überraschungseffekt erweitert, da unerwartet die Flöteneinleitung aus dem »Prélude« wieder aufgenommen wird, allerdings mit völlig neuem Ausdrucks-gehalt versehen in einer durch den 2/4-Takt bedingten zeitlichen Raffung, mit Off-