2Die Aspekte des »style français« im Hinblick auf eine rumänisch-französische Stilsynthese– Die Ausprägung der französischen Stilebene zeigt sich von Beginn an vielheterogener als die des »style roumain«, indem sie neoklassizistische undimpressionistische Verfahren ebenso nutzbar macht wie gattungsspezifische Traditionen von Nocturne, Mélodie, Chanson und direkte textliche Bezüge zur französischen Literatur.– Deutlich wird, dass die französischen Komponenten in der überwiegenden Zahl der Werke nie für sich alleine stehen, sondern vielmehr in Verbindung mit der rumänischen Ausdrucksebene der Erweiterung von Lipattis bisheri-ger Musiksprache dienen. So verbindet sich der in Paris begonnene neoklas-sizistische Neuanfang auch in der historische Stile imitierenden Ausprägung bereits mit melodischen, tonalen und rhythmischen Elementen, in denen die Nähe zu früheren Werken Lipattis erkennbar ist. Die französische Stilkompo-nente beeinflusst überwiegend die Verfahrensebene. Eine ausschließliche Konzentration auf französische Traditionen in Gattung, Literaturbezug und kompositorischen Verfahren, wie sie sich in Lipattis Liedschaffen, den Quatre Mélodies und Cinq Chansons, zeigt, vollzieht sich erst spät und erstaunlicher-weise genau parallel zu den explizit rumänisch inspirierten Werken Sonatine pour piano (main gauche seule) und Danses Roumaines. Ähnliche zeitliche Paral-lelität findet sich zwischen der intensiv vom französischen Neoklassizismus dominierten Kompositionsphase der Jahre 1936–1938 und der Verarbeitung der rumänischen Colindă-Melodie im Nocturne (Thème moldave).– Die für den Neoklassizismus typischen Charakteristika des musikalischen Humors, des Spiels mit der Erwartungshaltung des Hörers, wie ironische Überzeichnungen, Verfremdungseffekte, disproportionale Zuordnungen, motivische Deformierungen mit Störungen motorischer und ostinater Grund-gerüste und unerwartete harmonische Wendungen verbinden sich mit Prin-zipien der Überlagerung in polyrhythmischen Strukturen, Mixturen oder parallel verlaufenden melodischen Linien, wie es sich schon bei Jora, Mihalo-vici oder Lazăr in einer rumänischen Ausrichtung des Neoklassizismus fin-det.– Eine weitere durch den französischen Neoklassizismus angestoßene Tendenz liegt in der zunehmenden Reduktion der musikalischen Mittel in Lipattis Kompositionen: Im Vergleich von dichter Harmonik und Instrumentierung früher Werke der rumänischen wie der französischen Stilebene, etwa der