1.2 Wahrnehmung 27 überformt. Der Neuheitswert eines Reizes ist stets subjektiv gegeben. Neu eintref-fende Information wird durch Vergleichsprozesse mit bereits gelagerten Erfahrungen (knowledge basis) verglichen – jede neu eintreffende Information verändert zugleich auch die Wissensbasis. Sender und Empfänger werden zu handelnden Agents in einem kommunikativen System. Empirische Befunde bestätigen die subjektive Be-deutung von Stimuli als Auslöser für ästhetisches Erleben (ZAJONC 1968; CANTOR 1968; BERLYNE 1974) und die Veränderung der Bedeutung von Stimuli durch Erfahrung (WIEDL 1975). Subjektiv optimale Aktivierung wirkt als Verstärker, als Lernfaktor, im explorativen und Neugierverhalten, das als Interesse messbar ist. Der Neuheitswert als Abweichung von der Erwartung aufgrund einer Erfahrung ist mathematisch ausdrückbar, kybernetisch formalisierbar. Die Informationstheorie bietet hier die Operationalisierung von Stimuluseigenschaften, deren Bedeutung bereits in der Wundt’schen Aktivierungstheorie anklingt. Die Methodik der Prüfung erregungsinduzierender Eigenschaften lässt sich an der im Umfeld der experimentellen Ästhetik angesiedelten musikbezogenen Emo-tionsforschung darstellen, die Erregung als Indikator (der Intensität) emotionaler Empfindung erachtet. Aktivierung beschreibt eine Komponente von Emotion. Inner-halb der Künste wird dieser Zusammenhang vorrangig in der formalen Kunst Musik diskutiert. Die Nutzung emotionaler Bedingungen von Musik als kommunikative Ereignisse im multimedialen Geschehen (und in der Therapie) zeugt von dem funktio-nalen Bezug; dabei werden emotionsvermittelnde oder emotionsauslösende Ereignisse als (präsentative) Zeichen (vgl. LANGER 1942, 1953) oder als Signal betrachtet. Allgemein wird die emotionale Wirkung von Musik in vorschriftlichen Kulturen dargestellt, in Mythen erzählt, im frühen Stadium naturwissenschaftlicher Erfahrung noch metaphysisch umrahmt. Die Hippokratische Vorstellung macht unterschiedli-chen Gallenzufluss zum Gehirn für unterschiedliche Gestimmtheit verantwortlich, Athanasius KIRCHER (1601–1680) sieht in der »Vergeistigung der Körpersäfte in Dämpfe«4 die Natur der Gefühle begründet. Die im Leib-Seele-Problem verankerte Diskussion um das Primat von Körper (JAMES 1884; LANGE 1885) oder Bewusstsein (WUNDT 1874) ist bereits bei CANNONs (1927) (Hypo-)Thalamus-Theorie dem Zusammenspiel, der gedanklich kontrollierten Aufhebung der Blockade von jenen in tiefliegenden Hirnstammteilen gelagerten Zuständen, preisgegeben worden. Der Behaviorismus fokussiert deskriptive Anschauungen von korrelativen Konzepten anstelle von kausalen. Kognitive Ansätze sehen heute in der Bewertung des Ge-genstandes den Auslöser für Gefühle und nicht im Gegenstand selbst; sie haben damit vor allem die Vorstellung von Gefühlen als aktiven Prozess erkannt und ihre Individualität bei gleichen Reizvorlagen erklärt. Gerade in der Emotionsforschung in Zusammenhang mit der Formalkunst Musik erweisen sich dimensionale Konzepte von Emotion als adäquat; Erregung dürfte dabei die dominante Dimension sein. Kategoriale Konzepte stehen eher mit verbalen Bezeichnungen von erregenden Situationen in Bezug und sind narrativen Künsten adäquat. Spannungsinduktion durch syntaktische Elemente scheint ein Spezifikum von Musik zu sein – Pop rekurriert primär darauf, die Künste der Codes gänzlich. 4 Zitiert nach de la Motte-Haber, Helga: Musikalische Hermeneutik und empirische Forschung, in: Neues Handbuch der Musikwissenschaft, Bd. 10: Systematische Musikwissenschaft, hg. von Carl Dahlhaus und Helga de la Motte-Haber. Laaber, 1982, S. 185.