1.3 Kommunikation 35 enbildung durch die Avantgarde nach, diese wird aber meist aus kommerziellen Gründen verspätet zur sozialen Realität. Interaktives künstlerisches Gestalten hat eine politische Entsprechung, es ist ein Teil davon und gleichzeitig seine Hervorbringung. Die Vorbedingungen liegen in den allgemeinen gesellschaftspolitischen Gesinnungsänderungen, die den Übergang von hierarchisch organisierten Systemen mit dogmatisch gesetzten Regeln zu evolutiv gewordenen, gemeinschaftlich erarbeiteten Strukturen demokratischer Prägung kenn-zeichnen. Dieser Übergang ist in Mitteleuropa durch den Zerfall monopolistischer, oligarchischer Regierungsformen am Beginn des 20. Jahrhunderts markiert und bestimmt den politischen, gesellschaftlichen Gang durch das 20. Jahrhundert. Huma-nismus, Aufklärung, Industrialisierung sind ihrerseits die ideologischen, politischen, gesellschaftlichen Wurzeln dieses 20. Jahrhunderts. WEIBEL ortet eine tradierende, rechte Ideologie in der Kritik der Vernunft, die an Innovation interessiert sei, um sie abzuschaffen. Innovative linke Ideologien wollen Vernunft, das Irrationale müsse eliminiert werden. DESCARTES sieht Gott als Böses, weil er uns mit die Wahrheit (der Natur) täuschenden Sinnen ausgestattet hat. KANT sieht in der reinen Vernunft das Wahre, in der praktischen Vernunft das Gute. Die Grundlage für Innovation vom Humanismus bis zur Moderne sei es, das Böse als Irrationales zu verbannen. »Kant verstand sich als dezidierter Aufklärer (›Sapere aude‹ – habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, war bekanntlich sein Motto)« (SCHNEIDER 1996, S. 44) seine Akzeptanz in der von Irrationalem beherrschten Gesellschaft wertet SCHNEIDER als erste Anzeichnen jener politischen Wende, die zur hier diskutierten horizontalen Struktur führen konnte. Ganz offensichtlich entsprach die doch eher spröde Argumentation den Bedürfnissen und Hoffnungen der bürgerlichen Intelligenz, den Apologien der bestehenden feudalabsolutistischen Ordnung in Religion und Metaphysik ein aufklärerisches System entgegenzustellen, das nicht einmal radikal kämpferisch auftrat, sondern nur durch die Kraft der Überzeugung wirkte. In dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit, den Kant stellte, war implizit die Forderung nach Gleichheit aller Menschen gesetzt. Das Prinzip der rational und zugleich empirisch begründeten Widerspruchsfreiheit war daher auch eine symbolische Form für das »Egalitätsprinzip« (ebenda, S. 45). Was Kant zuvor mit der Kritik der reinen Vernunft für den erkennenden Teil des Bewusstseins, mit der Kritik der praktischen Vernunft für die Ethik postuliert hat, hat er mit der Kritik der Urteilskraft später auf den Lust-Unlust-Bereich bezogen und damit auf allen Ebenen des Bewusstseins horizontale Strukturen grundgelegt. Die politisch-gesellschaftliche Fundierung leisteten später die marxistischen Theorien im Umfeld der Industrialisierung. Der Futurismus formuliert als gesellschaftspolitisch-künstlerisches Programm, was das fin de siècle dem umstürzlerischen und damit kriegerischen 20. Jahrhundert beschert. In der Kunst manifestiert sich dieser Haltungswandel in der Abkehr vom Werk als ein autoritär diktatorisch Gesetztes und unveränderliches Ganzes, das einer demokratischen Gesinnung nicht entspricht; es wird als (politisch) restaurativ ge-wertet. Entsprechend den politisch wie technisch motivierten Änderungen werden Teilhabe, Mitbestimmung, subjektives Erleben und damit die Imagination zu We-sensbestimmtheiten einer Kultur die sich zuvor als eine durch physikalische Gesetze