1.4 Wissenschaft und Kunst 37 1.4 Wissenschaft und Kunst 1.4.1 Eindringen naturwissenschaftlicher Methoden und Denkweisen in die Kunst Über die Wahrnehmung als Methode, über Kommunikation als Erkenntnismethode formulieren bekanntermaßen die Naturwissenschaft und ihre modernen Derivate in den Human-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften im nomologisch deduktiven Forschungsvorgang jene Schritte ihrer Methode, die die Prüfung von Allaussagen am statistischen Einzelfall durch die kontrollierte Beobachtung im Experiment erlauben, unter Konstanthaltung anderer Einflussgrößen und Ausschaltung des Experimen-tators in der Fragestellung und damit subjektiven Interessen, im Versuchsablauf und in der Datenverrechnung. Dadurch sollen möglichst objektiv Aussagen getätigt werden über den Wahrheitsgehalt der von einer Theorie abgeleiteten Hypothese, die den Zusammenhang zwischen zumindest zwei Größen, zwei Variablen, angibt. Die Gegenstände des Zusammenhangs sind auf der sprachlich begrifflichen Ebene formuliert und werden über operationale Definition durch beobachtbare Indikatoren auf die Ebene der Beobachtung gebracht. Die Beobachtung des Ausprägungsgrades der Beziehungsgrößen wird dann auf eine Mess-Skala (unterschiedlichen Niveaus) projiziert – damit ist die Messung der jeweiligen Größe der Variablen und die Beobachtung der Auswirkung der Variation einer Variablen (der unabhängigen) auf eine andere (die abhängige) unter kontrollierten Bedingungen des Experiments theoretisch möglich. Dieser Übertragungsprozess von der Ebene der sprachlichen Begriffe auf das beobachtbare Verhalten ist eine präzis definitorische Bestimmung, zugleich eine präzisierende Eingrenzung des Geltungsbereiches – die Interpretation der Ergebnisses ist von diesem Übertragungsprozess bestimmt. Dieses rationale Handeln steht zunehmend dem intuitiven des Künstlers gegenüber. Kunst und Wissenschaft haben ihre Haltungen am Weg von der Moderne zur Postmoderne einander angenähert. War die (nomologisch-deduktive) Wissenschaft eine prüfende Disziplin und Kunst eine Fragen aufwerfende, so haben sich diese Standpunkte aufgeweicht. Wissenschaft sei methodendominiert. »Fragen innerhalb von Disziplinen würden nur zugelassen werden, wenn für ihre Behandlung eine Methode vorhanden wäre« (FRICKE 1999, S. 44). Zumindest werden sie nur dann als sinnvolle, weil beantwortbare Fragen bewertet. Ernst PÖPPEL verkehrt die Wertigkeit. Die Frage nimmt die zentrale Position gegenüber der Methode auch in den Wissenschaften ein: »Indem wir bisher ungefragte Fragen ermöglichen, noch verborgene Denkweisen anregen und noch nicht gefundene künstlerische Prozesse in Gang setzten« (PÖPPEL 1996, S. 20) könne menschliches Wissen und Handeln neu erörtert werden. Letztlich verschieben sich die Positionen. Die Wissenschaft liebäugelt zunehmend mit der Kreativität der Kunst und verlässt ihre selbstgewählte methodische Isolation (FRICKE 1999, S. 45). In die Kunst hingegen dringt die Methode Experiment. Kontext-Kunst ist vergleichbar dem experimentellen Setting: die Beobachtung der Auswirkungen der Variation von Bedingungen auf andere – die Übertragung experimentellen Denkens in die Kunst. Kommunikation als Erkenntnismethode dringt in die Kunst als Diskurs, Kommu-nikation dient der Relativierung von Erkenntnis und damit der Intersubjektivierung,