40 Von der Achtung des Besonderen zur Be-ob-achtung des Allgemeinen »Erkenntnis der ›Platonischen Idee‹ [ist] das Subjekt, sofern es eine Idee erkennt, nicht mehr Individuum [. . . ] das Subjekt wird so zu ›einem Weltauge‹ [. . . ], so dass jedes Spezifische und Unterschiedene verschwindet« (JAIN 1989, S. 177 ff). Liegt der Erkenntniswert wissenschaftlicher Objektivität im Aussagendurchschnitt vieler Individuen, deren Variabilität als Errorvarianz künstlich eliminiert wurde, und jener der künstlerischen Subjektivität in der entpersonifizierten Aussage des Einzelnen mit hohem Allgemeinheitsbezug? Diese simplifizierende Gegenüberstellung dient nur der Veranschaulichung grund-legender Positionen. Zunehmend verschwimmen die Grenzen zwischen dem Versuch der objektiven Erkenntnisgewinnung und dem Zulassen gefilterter Ausschnitte der Realität. Gerade in die strenge Naturwissenschaft ist das kritische Verständnis rationaler Erkenntnisgewinnung (POPPER 1934) eingedrungen, das gleichsam nur von vorläufigem Wissen über die Wirklichkeit spricht. In die empirischen Human- und Sozialwissenschaften zog jene Haltung ein, die die Erkenntnis über soziale Prozesse nicht unabhängig von den Einstellungen, der Ideologie des Erkennenden, sehen will. Die Kunst arbeitet vermehrt mit Modellen der Realität, die denen der Wissenschaft ähnlich sind oder von ihr übernommen wurden. Kontextkunst nutzt die künstliche Variation als künstlerische Methode des Erkennens. Die kritische Ahnung um die Vorläufigkeit jeglichen positiven Wissens berührt jene Kunst, die Kommunikation (nicht nur als kollektivierende, sondern auch) als künstlerische Form der Erkenntnisgewinnung erachtet. Sie bedient sich dabei des prozessualen Vorgehens der Erkenntnisgewinnung durch eine »Reihe [. . . ] von Wirklichkeitsexperimenten« (LYOTARD 1985, S. 101). Das Paradigma der Erkenntnis der naturwissenschaftlichen experimentellen Forschung und der Kommunikation von Ergebnissen finden sich in jenen postmodernen künstlerischen Haltungen, die sich »kritisch gegen jegliche Endgültigkeitsbehauptungen« (WELSCH 1993, S. 91–92) wenden. Andererseits erlaubt sich die Wissenschaft im Bereich der Kulturwissenschaft die erkennende Deskription und die Allegorie. Nicht mehr das Problem der adäquaten Entzifferung von Symbolen steht im Vordergrund einer »erneuerten Kulturher-meneutik «, sondern es stellt sich die Frage, wie sich Bedeutungszusammenhänge vermitteln bzw. wie sich kulturelle Phänomene in einzelnen Kontexten artikulie-ren und darin Macht und Ohnmacht, Anpassung und Widerstand zum Ausdruck kommen. Kultur, Gesellschaft und Politik verschwinden als kohärente, objekti-ve und »totale« Untersuchungsgegenstände, »um als verschlüsselte Muster eines komplizierten Gewebes von Texten, Kontexten und kulturellen Praktiken wieder-zukehren « (WUNBERG 1997, S. 5). Multidimensionales Denken wie multivariates, auch Mehrdeutigkeiten implizierendes Denken und die entsprechenden Methoden waren Vorbedingung dieser postmodernen Haltung, Output der experimentellen Naturwissenschaften und ihrer Adaptionen in den empirischen Human- und vor allem Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Naturwissenschaftliche Erkenntnis hat prognostischen Wert. Es liegt hingegen in der Tradition jener Wissenschaften deren Gegenstand der Erkenntnis ein künstle-rischer ist, dass sie eher im Nachhinein zu erkennen versuchen, was ein spezielles Kunstwerk ausmacht, um daraus – in der Art einer Induktion folgernd – zu all-gemeingültigen Aussagen über Kunst zu gelangen. Schließt dieses Tun zwar eine