1.4 Wissenschaft und Kunst 41 Wirkung auf das Kunstschaffen nicht aus, so ist diese – meist über die Lehre, die sich wiederum an den wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert – eine stabili-sierende, historisierende, da sie sich am bereits Bestehenden orientiert, wie dies SCHÖNBERG (1976) aus seiner Erfahrung als Komponist, Proponent einer Schule und Lehrer äußerte. In der Art der Futuristen, die das Überschreiten von Grenzen als eine Methode der radikalen Erneuerung sahen, das Beschreiten eines Wegs zur Innovation, der abseits des evolutionären Wegs aus der Tradition liegt, zeigt sich ein Weg nach vorne. Das Grundinteresse von Wissenschaft und Kunst sollte nicht die Firmation des Bestehenden, sondern die Suche nach Modellen der Wirklichkeit sein; dabei stärkt Unstetigkeit die Haltung um die Vorläufigkeit des Wissens. In der futuristischen Sicht wird auch diese Haltung evident. Die Musikwissenschaft hat früh Interdisziplinarität und Methodenvielfalt gewählt. Die Kenntnis der psychologischen Wahrnehmungsforschung sowie die vermutete Kulturabhängigkeit des Gegenstandes (auf dem Hintergrund des sich auflösenden Kolonialismus und einem damit zunehmend reflektierten Kulturimperialismus und Eurozentrismus) haben die Grundlagen für die vergleichende Betrachtung einge-bracht. Vermutlich wurden über den didaktischen Einfluss der Musiktheorie und der Musikwissenschaft im Vergleich zu den modernen Kulturwissenschaften sehr früh die zirkuläre Verbindung zwischen Musik und ihrer Wissenschaft und Pädagogik, somit Musikwissenschaft als Gegenstand wie Träger der Kultur klar. Den Anker objektiver Erkenntnis erhoffte man aus der Naturwissenschaft und den entsprechen-den systematischen Disziplinen; diese Hoffnung war oftmals mit der Ideologie des Natürlichen assoziiert – die Anwendung sytemischer Musiktheorie auf ästhetische Fragen impliziert diese Gefahr. Musik ist ein System von Codes, das prinzipiell der willentlichen Gestaltung unterworfen ist. Willkürlichkeit ist selbst nicht durch natürliche Ordnungen in der Physik des Klanges und seiner Wahrnehmung zu entmachten – gerade diese Gesetze bewusst außer Kraft zu setzen ist das Schaffen von Künstlichem, jüngst von virtuellen Welten. Natürlichkeit und Künstlichkeit waren in unterschiedlichen Facetten Grundlagen für die Legitimation von Kunst als von der Natur verschieden. Restaurative Ideo-logien gründeten Bodenständigkeit auf das Gottgegebene, Innovationslust wurde mit Künstlichkeit ideologisiert. Erst jüngst beginnt, nicht wie in der künstlichen Anlage des Natürlichen im Englischen Garten oder in der künstlichen Reservation des Natürlichen, das Aufweichen der vermeintlich starren Grenzen im Gefolge des Falls modernen Innovationsstrebens. Die Postmoderne erlaubt das Nebeneinander und erforscht damit alternative Seinsbereiche. Das Zueinander von Kunst und Wissenschaften ist zu trennen vom Gebrauch wissenschaftlicher Hervorbringungen als technologische Entwicklungen in der Kunst, ist weiterhin zu trennen von Kunstwissenschaften, die in der wissenschaftlichen post-hoc-Erklärung künstlerischer Gegenstände ihren Gegenstand definieren. 1.4.3 Wissenschaft, Technologie und Kunst »Kunst und Technik sind zwei Bereiche, die, nachdem sie in der Antike als zusam-mengehörig gedacht und behandelt wurden, über die Jahrhunderte auseinander