1.4 Wissenschaft und Kunst 51 als Mittel zu deren Bewusstmachung im künstlerischen (wie im therapeutischen) Bereich eingesetzt wurde: ein typischer, über das Medium als Extension (visueller) Wahrnehmung selbst reflektierender Einsatzbereich von Video in der von aufklä-rerischer Haltung geprägten, intellektuell orientierten Kunst der sechziger Jahre. Sowohl die Technologie des Feedbacks, die Handlung und Agenten ins Zentrum rückt, als auch der darin implizierte inhaltliche Ansatz der Selbst-Reflexion sind Markpfeiler am Weg zur interaktiven Kunst. Mit jenen der Technologie immanenten Gestaltungs- und Transformationsmög-lichkeiten initiiert, erweitert dann Videokunst die Umwelt und beginnt diese zu simulieren. Dieser Einsatz reicht von der heutzutage durch die kommerzielle digitale Trick-Technologie weit überholten einfachen Verzerrung durch die Ablenkung des Elektronen-Strahls in der Bildröhre über die Erzeugung von Falschfarben durch Filterung bis zur Zerhackung und schließlich der die Videokunst – als Gestalt in der Zeit – bestimmenden Reihung von Ereignissen in der Zeit, die methodisch meist Kontextvariationen bedeutet. Die Techniken der Materialverarbeitung sind zugleich auch die Techniken der musique concrète, die ebenfalls von vorgefundenen Mate-rialien, von Aufnahmen auf ein elektromagnetisches Speichermedium ausgehend, Techniken der analogen elektronischen Verarbeitung zur kompositorischen Verarbei-tung nutzt. Der Schnitt als wesentlichstes Merkmal der Zeitgestaltung von Video rückt dieses Medium noch mehr in die Nähe von Musik, die im Unterschied zur Bildenden Kunst eine Kunstform in der Zeit ist. Der abstrakte Film der zwanziger Jahre ist Vorbild dieser Videoarbeiten, beiden steht explizit oder implizit Musik Modell. Nam June Paik sieht in diesem wesentlichsten Kriterium seine Motivation sich als Musiker folgerichtig mit dem Medium Video auseinander zu setzen: Video hat für ihn die Bedeutung von Musik in der Gestaltung der Zeit. Der Videosynthesizer ist die Parallelschöpfung zum Audiosynthesizer, entwickelt von der Schule der elektronischen Musik in Köln. Beide synthetisieren das Grund-material, das in allen Details dadurch komponierbar wird. Dass diese Technik dem musikalischen Denken rund um mathematische Determiniertheit von vertikalen und horizontalen Strukturen entspringt, ist nicht befremdlich. Die Techniken der Verarbeitung sind in der Musik wie im Video jene der wechselseitigen elektronischen Steuerung von Ereignissen, deren elektromagnetische Speicherung, Überlagerung und der physikalischen und elektronischen Manipulation. Abseits der einfachen Nutzung der Videotechnologie zur Erzeugung von in der Zeit gestalteten visuellen Elementen liegt in der Verwendung dieser Technologie die Reflexion von Wirklichkeit durch das Schaffen eines elektronischen Bildes (stets ein Ausschnitt) der Wirklichkeit in der Gleichzeitigkeit als ästhetische Implikation. Vi-deo ist damit zu einem didaktisch und künstlerisch bedeutungsvollen Modell für die Reflexion moderner Kommunikations-Medien geworden, deren Wirklichkeit durch diese Abbilder gegeben ist. Was in der Folge der sechziger Jahre durch das Medium Video künstlerisch diskutierbar wurde, ist heute beinahe Allgemeinwissen und wird beispielsweise auf Fortbildungsveranstaltungen für Werbefachleute auf wissenschaft-licher Basis von Philosophen ebenso wie Kybernetikern und Marketingforschern zur unmittelbaren Nutzung vorgestellt: die Subjektivität von Wirklichkeit.10 10 Über das Thema »Schein und Wirklichkeit« fand im September 1994 im Villacher Kongresshaus die 41.Werbewirtschaftliche Tagung statt. Heinz von FOERSTER, der Neffe des Philosophen