56 Der Weg in die Postmoderne sondern dass es mehrere Strategien gibt, die geeignet sind, die Welt zu erklären, um das Leben in ihr zu bewältigen; sie erkennt nicht nur im kritischen Rationalismus, dass positives Wissen stets vorläufiges Wissen ist. POPPERs (1934) kritische Sicht des linear Prozessualen wird übertragen auf das parallel Plurale. Die notwendige Existenz mit Unsicherheit (vgl. POPPER 1977) scheint zuneh-mend eine Frage des Überlebens und nicht bloß der Moral zu sein. Das Streben nach Sicherheit ist der Motor von Mythologien, Religionen und Wissenschaft; Un-sicherheit zu reduzieren hat diese mehr oder weniger brauchbaren Vorstellungen von Wirklichkeit hervor gebracht. Dennoch, die Gefahr doktrinärer Modelle der Wirklichkeit, die aus wissenschaftlicher und sozialer Rigidität entstehen, ist zu minimieren. Auch wenn »die Wissenschaft der letzten Jahre zunehmend die Augen für Pluralität und Divergenz geöffnet hat, so ist es gleichwohl schwierig geblieben, mit dieser Pluralisierung zurechtzukommen – künstlerisch, wissenschaftlich und vor allem auch sozial. Dennoch führt an der neuen Situation kein Weg vorbei. Es wird darauf ankommen, sich inmitten dieser Pluralität richtig zu bewegen. Wir werden lernen müssen, auf schwankenden Böden und mit vielfältigen Fundamenten zu leben und darauf etwas Rechtes zustande zu bringen. Vielleicht haben wir das ja auch schon mehr gelernt, als die offiziöse Sicherheitsrhetorik wahrhaben und uns noch immer glauben machen will« (WELSCH 1996, S. 191). Das Leben mit Unordnung und Unsicherheit »verlangt freilich ein hohes Maß an Sensibilität, gerade auch an neuartiger Sensibilität für Andersartiges, für Brüche und Divergenzen sowie für Grenzen und Ausschlüsse« (WELSCH 1996, S. 191–192). 1996 zitiert und kommentiert WELSCH einen Vortrag von Paul VALERY aus dem Jahre 1932, in dem er als früher Ermutiger zum Leben mit Unsicherheit agiert. »Paul VALERY begann seinen Vortrag ›Die Politik des Geistes‹ mit den Worten: ›Ich unternehme es, vor Ihnen die Unordnung erstehen zu lassen, die unser Leben ist‹ (VALERY 1960, S. 1014). VALERY legte dann dar, es stimme gar nicht, dass moderne Menschen, wie die Traditionalisten behaupten, noch immer allenthalben Ordnung wollen. Im Gegenteil: Wir suchen gerade zu die Unordnung – zwar nicht die totale Unordnung, aber eine die Ordnung allenthalben durchziehende Unordnung. Und der moderne Alltag beweist für VALERY, daß wir längst gelernt haben, mit solcher Unordnung und Unsicherheit zu leben. Wir sollten uns daher nicht länger das Gegenteil einreden lassen, sondern unsere Unsicherheitskompetenz entwickeln. Eben das verstand VALERY als seine Entdeckung und Botschaft« (WELSCH 1996, S. 191). Gerade die letztgenannten wissenschaftlichen Änderungen sind Haltungsänderungen, die aus dem Forschungslabor in den Alltag ausstrahlen. Diese Haltungsänderungen gehen einher mit der Umformung politischer Bewegungen und der Änderung des soziopolitischen Gefüges.Das Bewusstsein verändert sich von der Akzeptanz vorbe-stimmter zu sich entwickelnden Strukturen. Die allgemein präferierte Vorstellung politischer Systeme mutiert vom (nativistisch wie sozial begründeten) Autokratis-mus zum Demokratismus und verändert sich zur Zeit langsam zum informellen Basis-Demokratismus, bestimmt durch horizontale Kommunikationsstrukturen aus informellen Interaktionen. Partizipation an Happenings und Interaktion der Kom-munikationskünste haben passive Haltungen aufgelöst und Kunst zu einer Sache der Beziehung zwischen Gegenständen, Situationen und Menschen gemacht – nicht zu etwas Absolutem, dem ein Rezipient ausgesetzt ist; Netz-Kunst hat diesen Beziehun-