58 Der Weg in die Postmoderne 2.2 Pluralität: parallele Weltbilder Gibt es etwas, das man mit dem Begriff Weltbild bezeichnet, so ist diese umfassende Haltung zugleich in Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft manifest. Sie ist das resultierende Konglomerat aus diesen Erkenntnis-, Erlebens- und Lebensbereichen, die zugleich auch Determinanten des Weltbildes sind. Das Weltbild ist ein Bild der Welt, nicht ein globales Bild: Die Erkenntnis und Erlebens- bzw. Lebensbereiche definieren Kulturen, die sich durch unterschiedliche Sicht der Lebensbewältigung kennzeichnen; vor allem die Überstülpung der Idee, sich die Erde untertan zu machen, und in der Folge die Generalisierung dieser Idee auf ihre wirtschaftliche Nutzung ist eine Quelle der Monopolisierung im Hinblick auf die Sicht der Welt zentriert auf einen Kulturkreis. Dieses (herrschende, aufgeklärte) Konglomerat der europäischen und im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend amerikanische Weltsicht ist die Sicht der Naturwis-senschaft, die als Kind eines allgemein aufkommenden Empirismus in Abgrenzung gegen die romantische Verklärung sich am Ende des 19. Jahrhunderts etablieren konnte. Selbst unter der Prämisse der Erfahrung, der systematischen und kontrollierten Beobachtung des Experiments, erbracht diese Wissenschaft mehrere Möglichkeiten der Sicht der Dinge, die die Natur toleriert, die geeignet sind, verschiedene Aspekte der Natur zu beschreiben oder sie zu erklären – Das 20. Jahrhundert ist durch mehrere parallel existierende Weltbilder gekennzeichnet. Diese Vielfalt zeichnet die Welt der Physik (die ob ihrer Mutterschaft modellhaft für die Naturwissenschaft steht) ebenso aus wie die Welt der Kunst im allgemeinen, der Musik im besonderen. Diese Disziplinen ruhen aber letztendlich auf einem – auf der formalen Meta-Ebene – gleichen Weltbild, dem Pluralismus, der nebeneinander stehende, gleichwertige Ausformungen von Erklärungen akzeptiert, unterschiedliche aber gültige Theorien der Physik, unterschiedliche, nebeneinander praktizierte Musiktheorien (vgl. DE-LAERE 1990). Pluralismus als Weltbild inkludiert das Unbehagen gegenüber streng determi-nierten sozialen Ordnungen, was sich im Streben nach einem gleichberechtigten Nebeneinander auswirkt. Dieses Nebeneinander ist wiederum als Effekt wie als Ursache der Bildung sozialer gesellschaftlicher Strukturen am Weg zu einem sozial bestimmten demokratischen Gefüge zu sehen. Speziell diese soziopolitische Haltung findet auch in der Kunst ihre experimentelle Prüfung und empirische Erkundung des ihm zugrunde liegenden Modells. Dabei wird nicht die Frage nach seiner Eig-nung gestellt, aber nach der Art der Hervorbringungen von parallelen, miteinander vernetzten Systemen, deren Dynamik zu immer wieder neuen Eingangsbedingungen führt. Kunst wird nach dem Modell der Computersimulation zum Prüffeld sich selbst regulierender sozialer Prozesse. Solche künstlerischen Konzepte verstehen sich nicht als ästhetische Diskussion um die Hervorbringungen des interaktiv ge-meinsamen Schöpfungsakts, sie sind Manifestationen und Prüfung ihrer sozialen Innovationsfähigkeit. Ist Pluralismus auf formaler Ebene die homogene Weltgesinnung des 20. Jahr-hunderts in der angloamerikanischen Kultur, so haben sich auf der Suche nach seiner Verwirklichung – wider die Intention – viele mehr oder weniger dogmatische