2.3 Postmoderne Kunst: Kunst des Denkens 59 Erneuerungsströmungen und Offenheitsbekundungen ereignet; vom Futurismus, der das Programm zu Beginn vorschrieb, bis zur Postmoderne, die den Pluralismus schließlich zum Inhalt machte. Politische Systeme halten mit diesen theoretischen nicht Schritt. Den monokausalen Vorstellungen vom evolutiven Werden in der Tradierung beste-hender Herrschaftssysteme stellte der Futurismus die nicht weniger herrschaftliche Sicht einer Führung der Massen gegenüber. Allerdings impliziert die Umorientierung im Blick auf die Gesellschaft von der herrschenden Schicht auf die Masse auch die Ahnung ihrer gestaltenden Kraft in systemhaften, sich selbst organisierenden Regel-mechanismen. Pop wird jene »Kunstform« sein, die diese sozialen Umwälzungen vollziehen wird – Musik und ihr Sound nehmen Katalysatorfunktion im Prozess der Herausbildung einer vielschichtigen Massengesellschaft ein, die Pluralität durch das Erlebnis von Individualität ermöglicht und als Steuerelement der Zugehörigkeit gebraucht; Pluralität als Methode zur kollektivierenden Verführung zur Individua-lität – Wir sind freie Individuen in einer die Individualität achtenden pluralen Gesellschaft. Was hier als Individualität akzeptierende Pluralität erlebt wird, kann auch als Strategie des zur Profitmaximierung ausdifferenzierenden Marktes gewertet werden. Wiederum präsentiert sich der Pop-Markt als plural: er nutzt den Vielhörer als Käufer in vielen Nischen. 2.3 Postmoderne Kunst: Kunst des Denkens – nach der Logik des Auditiven? Keine Fehldeutungen über das Erhabene als inhaltlich zu Interpretierendes lässt LYO-TARD aufkommen. Der Philosoph der Postmoderne sieht im Erhabenen die Methode des Erkennens und nicht den Inhalt. »Die ›modernen‹ Maler entdecken, daß sie nicht darzustellen haben, das [. . . ] nicht darstellbar ist. Sie beginnen die vermeintlichen ›Gegebenheiten‹ des Visuellen in einer Weise umzuwälzen, die sichtbar macht, daß das Gesichtsfeld Unsichtbares verstellt, und die verlangt, daß das Bild nicht nur im Auge entsteht, sondern auch im Geiste« (LYOTARD 1985, S. 38). »Durch diesen Zug zum Denken und durch die Aufmerksamkeit auf das Unsichtbare wird diese Kunst – zumindest tendenziell – zu einer Kunst des Erhabenen. Denn indem sie Momente ins Spiel zu bringen sucht, die nicht sichtbar, sondern nur denkbar sind, knüpft sie ihrer Struktur nach an das Erhabene an, das schon Kant ein ›Geistesgefühl‹ genannt hat« (WELSCH 1993, S. 88). Abseits der trivialen, aber allseits praktizierten Missdeutung des Erhabenen als Gegenstand von Kunst führt diese Argumentation zu den Grundfesten einer aus der Moderne weiter geführten postmodernen Kunst, einer Kunst des Denkens. Was für WELSCH mit Jean Dubuffet1 (1973) als »ein Postmoderner avant la lettre« (WELSCH 1993, S. 80ff.) 1951 begann, sind formulierte Kriterien postmoderner Philosophie, die »Geburt der postmodernen Philosophie aus dem Geist der modernen Kunst« (WELSCH 1993, S. 82). Sie werden für die Neuen Künste als wesensbestimmend erachtet: »Das Abrücken vom Anthropomorphismus, das Abrücken vom Primat 1 Bereits 1951 formuliert.