3.2 Der Weg zum Alltäglichen als Gegenstand von Kunst 71 Dass die Avantgarde diese Entwicklung ihrer Popularisierung selbst beweint, zeugt von einem nicht nur elitären, sondern unpolitischen Avantgarde-Begriff (vgl. DIEDERICHSEN 1996). Der Futurismus schrieb das Programm, der amerikanische Pragmatismus hat Alltag legitimierend theoretisiert, die Avantgarde der Bildenden Kunst setzt viele Schritte, die Manifeste zu erproben; Pop hat dann »Kunst = Leben : Leben = Kunst« gelebt. Das Happening ist der step zur kollektiven Selbst-Gestaltung im Event, Pop- Art ist jener Schritt zur medial veröffentlichten Ästhetisierung des Alltags sowie zur öffentlich gemachten Reflexion dieser damit verbundenen gesellschaftlichen Neuorientierung. Der Futurismus ist der radikale Bruch mit der Vorstellung des Erhabenen als das Elitäre. Dieses futuristische Erbe, verwoben mit der Haltung des Empirismus, gebiert im Pragmatismus eine Ästhetik des Alltäglichen, begründet im Hedonismus, erklärbar mit naturwissenschaftlichen Theorien des Zuwendungsverhaltens. Der amerikanische Pragmatismus ist gleichsam empirisch und nicht elitär norma-tiv. Er erklärt, was gefällt und postuliert nicht, was zu gefallen hat. Die Ideologie des amerikanischen »way of life« affirmierend, verschafft er diesem auf militärische und wirtschaftliche Stärke gebauten, aber mit dem Makel an Kulturlosigkeit verhafteten amerikanischen Selbstbewusstsein den – das eigene Verhalten und Lebensgefühl legitimierenden – Abstand zum idealisierenden Eliteverhalten Europas und denkt damit die amerikanische Alltagskultur vom abwertenden Druck europäischen Hoch-kulturbewusstseins frei. DEWEY (1988) gründet seine Philosophie nicht auf den Wunsch nach dem Besonderen, sondern dem Erfahren des Alltäglichen, das des Menschen Gefallen hervor ruft: »Anblicke von denen die Menge gebannt ist: Die vorüberrasende Feuerwehr; Maschinen, die riesige Löcher ins Erdreich graben; der Mensch, der einen Turm emporklimmt und von weitem wie eine Fliege aussieht; Männer, die auf Eisenträgern hoch in den Lüften rotglühende Bolzen werfen und auffangen. Daß der Ursprung der Kunst in der menschlichen Erfahrung liegt, wird jedem klar, der beobachtet, wie die Zuschauermenge von den spannungsgeladenen, graziösen Bewegungen des Ballspielers mitgerissen wird; der bemerkt, mit wie viel Freude die Hausfrau ihre Blumen pflegt und mit welcher Hingabe ihr Gatte das kleine Fleckchen Rasen vor dem Haus instand hält; der das Behagen dessen mitempfindet, der ein Holzfeuer im Kamin anfacht und dabei auf die hochschießenden Flammen und die zerfallende Glut betrachtet« (DEWEY 1988, S. 11). Einerseits kündet diese Lebensbeschreibung von einem im städtischen amerikanischen Alltag der zwanziger und dreißiger Jahre geretteten futuristischen Gedankengut, andererseits ist dies romantische Idylle im Middlewest gelebt. DEWEY trennt zwischen Kunst und Kunsterfahrung; in seiner hedonischen Basis ist der Pragmatismus die späte philosophische Stütze experimenteller Ästhetik des Hedonismus. Seine Philosophie ist ideologisch und eine emotionsgestützte theoreti-sche Untermauerung des amerikanischen Selbstwertgefühls. SCHNEIDER apostro-phiert ihm »die Vorstellung von der Gefühlsintensivierung qua Kunst, [was] zu einem Axiom der neueren amerikanischen Kunst (und unter ihrer Hegemonie auch der europäischen) geworden [ist]. Dies wird deutlich etwa in der gestischen Aktionskunst, in Happening, und Fluxus wie auch allen Formen von Performances, die bestimmte