3.2 Der Weg zum Alltäglichen als Gegenstand von Kunst 73 sechziger Jahre bestimmt. Künstlerisches Schaffen vollzieht sich im Kollektiv, wie das in der Pop-Kultur an Gruppen und nicht an Einzelinterpreten stilisiert wird. Die künstlerischen Wurzeln dieses Wir-Denkens wurden zuvor in der Musik als Methode erprobt und zwar als Methode der »Komposition«, der Schaffung eines (gemeinsamen) musikalischen Gebildes durch die Methode der Kollektivimprovisa-tion im Free Jazz, wohl ein wichtiges künstlerisches Korrelat in der Entwicklung gesellschaftsbestimmender Ideologien. Interaktion als Instrument des Prozesses informeller Strukturierung wird aus der Erfahrung von Kommunikation aus ihrer Theorie zum künstlerischen Gestaltungsmittel in der prozessorientierten Musik und strahlt über das Happening in die Bildenden Künste aus, wird später über Technologie zum Allgemeingut. Interaktive Kunst thematisiert Interaktion als durch Kommunikation bestimmte Gestaltungsgröße, (anonyme) Kunst im öffentlichen und medialen Raum die Partizipation, Interaktion wie Partizipation werden dabei auch als politische Größen gesehen. Die Pop-Art hat die Öffentlichkeit und die Massenmedien zum Thema. Pop-Art in Großbritannien ist gewissermaßen Folge der Industrialisierung. Die Art-Schools hatten das Design für die Produkte der Industrie zu liefern, eine niedergehende Industrie ließ die Art School sich verselbständigen. Das Interesse am Allgemeinen, am Industrieprodukt blieb, die Verselbständigung brachte den Kunst-Anspruch ein. Die Schüler der Art-Schools tragen diese vor allem mit Richard Hamilton assoziierte Pop-Art in die Öffentlichkeit: John Lennon, Pete Townsend, Brian Ferry machen dann als Pop-Idole Kunst zum Leben für die Allgemeinheit (vgl. HEISER 1997). Andy Warhol macht den Gebrauchsgegenstand zum Kunstgegenstand, er vereint Gebrauchskunst und Kunst-Gebrauch. Seine Factory macht aus Pop-Art als ästhe-tisches Produkt Pop-Art als Lifestyle. Die Partizipation ist nicht mehr Avantgarde, sondern notwendiger Teil des Konzepts. Seine Multimediashows (Exploding Plastic Inevitable) inszenieren nicht bloß ein Ineinander mehrerer Medien und somit eine (psychedelische) Reiz-Situation, sondern das Miteinander von Menschen, eine soziale Situation. Wesentlich hat damit die Pop-Kultur den Blickpunkt von der materiellen Situation (dem klassischen Werkcharakter) auf Kunst als soziale Situation gewandt und diese mitbestimmt. Insgesamt hat die Kunst der späten sechziger und siebziger Jahre das Interesse an Prozessualität und Performance verstärkt und dies in Öffentlichkeiten bzw. Teilöf-fentlichkeiten. Man interessiert sich nicht mehr für das »finished product«, sondern für das soziale Ereignis. Die technoiden Tanzformen des Pop tragen diese Haltung in sich und weiter: Der Rave ist partizipatives Ereignis wie die Konzertsituation des Happenings: »Rap ist vor allem eine lebendige Kunst, die du nicht für dein Publikum, sondern mit deinem Publikum machst« (TILGNER 1993, S. 455). Pop-Kultur hat mit dem Verständnis von Kunst als soziale Größe des Alltags und der Massen gemeinsam mit den selbstgemachten Distributionsmechanismen und mit der lustvollen partizipativen Situation ein gesellschaftspolitisches Postulat weitgehend realisiert; horizontale Strukturen im Leben, Hedonismus in der Kunst: Hedonismus im Leben, horizontale Strukturen in der Kunst. Pop ist bestimmender Teil einer Erlebniskultur (vgl. SCHULZE 2000) in einer durch ihn sich informalisierend demokratisierenden Gesellschaft (vgl. BROWNE 1984).