74 Vom Aufziehen eines hedonischen Weltbildes Die heute in der Pop-Culture gelebte Theorie der Ästhetik ist in postmoderner Haltung durch die Parallelexistenz, durch Ästhetisierung des Alltags und durch Hedonismus bestimmt. Postmodernes Denken der Philosophie, Neubewertung des Alltags durch Futurismus und Pragmatismus und Hedonismus als basale Größe einer naturwissenschaftlichen Ästhetik treffen hier aufeinander. Die postmoderne Philo-sophie entwuchs der Kunst, der Pragmatismus ist die Verdichtung amerikanischer Lebenshaltung, einer Alltagsästhetik, im Hedonismus findet die Naturwissenschaft eine allgemein-gültige gestaltende Kraft, die auch als Gegenposition zu einer Ästhetik des Besonderen gesehen wird. Der postmodernen Sicht steht die Sicht des Pragmatismus bei, der die Zuwendung zum Alltäglichen konstatiert. John DEWEY richtet sein Augenmerk auf die Praxis des ästhetischen Alltags und setzt an »bei den Ereignissen und Szenen, die auf das aufmerksame Auge und Ohr des Menschen auf sich lenken, sein Interesse wecken und, während er schaut und hört, sein Gefallen hervorrufen« (DEWEY 1988, S. 11). Die Erhöhung des Lebensgefühls ist Ziel der ästhetischen Erfahrung; in Abgrenzung zur elitären Propagierung Friedrich NIEZTSCHEs der »Kunst als Stimulans des Lebens« meint der Pragmatismus im Sinne des allgemeinen Programms von DEWEY, der democratization, die Art des Gemeinschaftserlebnisses. Kunstempfindung hat einen biologischen Kern und ist in der Sehnsucht nach Realisierung von Harmonie und der Überwindung von Spannung motiviert. Ästhetik haftet nicht den Dingen an, sie ist eine Sache der Erlebnissphäre, allgemeiner der Erfahrung. Sie ist nicht Objekt-kategoriell, sondern eine emotionale Qualität. Sowohl der biologische Ursprung, die Spannung und ihre Reduktion, als auch die Sicht, dass Ästhetik eine Erlebnisqualität ist, sind Kernannahmen der BERLYNE’schen Theorie der experimentellen Ästhetik (1970, 1971, 1974), die wiederum auf den hedoni-schen Erlebniswert von Spannung durch Reizintensität der WUNDT’schen (1874) Bewusstseinsphilosophie zurück greift; DEWEYs Auffassung ist eine Darwinistisch-biologische, mit der er sich früher beschäftigte (DEWEY 1910). Er geht davon aus, dass Interessen zur Homöostase von Spannung die Motoren ästhetischer Empfin-dung sind, BERLYNE sieht im Interesse die kognitive Entsprechung von erhöhter Spannung. Kunst hat somit einen instrumentellen Charakter und ist Mittel zur Erzeugung eines Gefühlszustandes, dient damit auch der Umbewertung ansonsten banaler Alltagsgegenstände und -situationen. Dies geschieht »weder durch hartnäckiges Nachdenken noch durch die Flucht in eine Welt der reinen Sinnesempfindung, sondern durch die Schaffung einer neuen Erfahrung« (DEWEY 1988, S. 155). Er definiert Kunst »als das Wirken jener Kräfte, die die Erfahrung eines Ereignisses, eines Objekts, einer Szene oder Situation zu ihrer eigenen integralen Erfüllung bringen« (DEWEY 1988, S. 159). Irmela SCHNEIDER sieht in der Ästhetisierung des Alltags ihrer Funktion nach ein soziales Distinktionsmerkmal, um »immer variierende Erlebnisräume zu generieren«; sie wertet die ästhetische »Inszenierung von Alltag als eine(r) Folge von immer besonderen Erlebnissen, Ereignissen. Das Alltägliche wird damit mit der Aura des Besonderen versehen« (SCHNEIDER 1998, S. 154). Der Weg vom Besonderen zum Allgemeinen endete vorerst damit, dass das Allgemeine zum Besonderen wird. Anders gesehen ist dies nicht bloß die Enteignung von Zeichen in einer semiologischen Guerilla (ECO 1985), sondern der Putsch eines Herrschafts- und Wertesystems.