86 Populäre Kultur und ihre Musik sche, historische, sozialwissenschaftliche, psychologische sowie naturwissenschaftliche Forschung finden zueinander. Dies erlaubt körperliche Regelmechanismen, das le-benserhaltende Spiel mit Erregung, mit Spannung und Lösung, mit klanglichen Ausdrucksformen in das Feld sozialer und kultureller Erscheinungen einzuordnen. Diese Aufweichung der traditionellen Gliederungen der Disziplin Musikwissenschaft erlaubt einen adäquaten kulturwissenschaftlichen Blick auf Sound und das originäre Musizierverhalten sowie körperliche Rezeption des Pop als dominante Teile des emotionalen als politischen Konzepts Pop-Culture. 1.2 Definitorische Aspekte von Pop und Musik 1.2.1 Pop-Sound und Informalisierung der Gesellschaft Von welcher ideologischen Seite aus auch betrachtet und bewertet, Pop ist eine »verführende« Waffe der kapitalistischen Kolonialisierung. Entstehungstheorien des modernen Pop gehen davon aus, dass Pop als eine gezielte Kampagne gegen die Abwanderung der weißen mittelständischen Jugend von ihrer Elternkultur im konservativen USA der McCarthy-Ära entstand. Dabei fand jenes Wissen über die Führung der Massen durch emotionale Bindung aus den diktatorischen Regimes des Zweiten Weltkrieges Anwendung auf die Verführung der Jugend, indem Bewußtseinsindustrie dieser eine kontrollierte Spielwiese zum »Totspielen« ihrer Bedürfnisse bereitstellte. Der Bezug zwischen authentischen Ansprüchen, meist Gegenhaltungen, und dem Bereitstellen von Territorien, um diese auszuleben, führte bald zu einer symbiotischen Beziehung, zum Verkauf von Gegenhaltung (vgl. MAYER 1996). Wirtschaftlichem Nutzen auf der einen Seite stand die Distribution von Gegenhaltung – in geglätteter Form – bei. Stars verkörpern diese Mechanismen. Ihre wirtschaftliche und politische Wirkkraft erhalten sie durch Prozesse der Identifikation für Gleichgeschlechtliche und als Attraktionsobjekte für Gegengeschlechtliche (JAUK 1994). Der Aufbau von Images zur sexuell motivierten Identifikation und Attraktion folgt diesem Spiel zwischen Affirmation und Dissidenz. Die Kreation des Images von Elvis Presley erfüllte jene gratwandernde Verführung zur lustvollen Anpassung: Der laszive Tonfall, der laszive »verbotene« Hüftschwung waren sein unmittelbar körperlicher Einsatz in einem militärischen Feldzug zur Eroberung der westeuropäi-schen männlichen wie weiblichen Jugend – ein Sieg mit Langzeitwirkung, bedenkt man die »Prägung« für Pop-Stile der Zeit der eigenen Pubertät (vgl. JOST 1982). Pop thematisiert – seiner Genese zufolge – die pubertären Sehnsüchte, die mit der Ich-Werdung und der Abnabelung von der primären Sozialisationseinheit in die Gruppe der Gleichaltrigen einher gehen; Sexualität ist dafür nur Katalysator. Sexualität als sozialisierende Größe einer konservativ christlich-bürgerlichen Ge-sellschaft und die Doppelbödigkeit des Umgangs mit ihr im politischen Alltag versuchten Vivienne Westwood (mit der Kreation entsprechender Mode) und Mal-colm McLaren (als Schöpfer des medialen Aufstiegs von sozialen Außenseitern) mit den Sex Pistols zu dekonstruieren. Die Veröffentlichung des tabuisierten Outfits des Rotlicht-Milieus ist eine Sache der Umbewertung von Zeichen; die Benutzung der