1.2 Definitorische Aspekte von Pop und Musik 87 BBC zur Veröffentlichung von sexuell geladenen anarchistischen Parolen ist die De-konstruktion des Prinzips des Verkaufs von Dissidenz durch die Medien. Sexualität ist die Metapher für Doppelmoral einer wirtschaftlich bestimmten Politik, Sexualität ist jenes Vehikel, deren Unterdrückung gefügig macht für politische Mächte, deren Ausleben mehr als die Illusion von Freiheit in der Entwicklung der Jugendkulturen gebracht hat. Sexualität war mit Politik und darin mit Individualisierung assoziiert. »War Rock’n’Roll verknüpft mit Utopien, [. . . ] anfällig für sexualpolitische oder individualistische Verheißungen und Aufbrüche, auch Tabubrüche, so ist Hip Hop die einzige Musik, die manchmal [. . . ] Segregation überspringt, [eine] allgegenwär-tige Segregation auf allen Ebenen, von elektronischer Überwachung der Städte, Sicherung von Vorstädten durch private Sicherheitsdienste bis zur Segregation durch Kultur und Bildung« (DIEDERICHSEN 1993, S. 11). Gerade Hip-Hop der »new school« überspringt soziale Grenzen durch die Übernahme des High-Life – Sex ist dabei von »definitorischer« Bedeutung in einer von Hedonismus getragenen Pop-Culture. Seine gesellschaftspolitische Funktion hat Sexualität verändert: Von ihrer Unterdrückung zur gesellschaftlichen Anpassung, von der Proklamation ihrer Freiheit als aufklärerischer Aufschrei zur politischen Freiheit in den sixties1 hin zu ihrem Ausleben als Teil einer allgemein hedonischen Gesellschaft. 1.2.2 Entwicklung in Generationen: Haltung – Gegenhaltung – Hedonismus Von den seit 1945 geborenen Jugendlichen getragen und mit ihren ontogenetischen Entwicklungsschritten parallel geführt, hat sich Pop-Kultur von der pubertären Phase über die adoleszente, von der außerparlamentarischen Opposition zur de-mokratischen Alternative, schliesslich zu einer Hedonismus lebenden Alltagskultur entwickelt. Die pubertäre Ich-Findung wird durch den Auszug aus der elterlichen Gemeinschaft und die erste Liebe thematisiert. Die Formation eines »Wir« in den 1 Das Lustprinzip werde in das Realitätsprinzip überführt (FREUD 1930). Insbesondere leis-ten dies religiöse Lehren durch Innerweltliche Askese, Disziplinierung der augenblicklichen Triebbefriedigung (vgl. Max WEBER 1920, 1993). MARCUSE (1965) stellt dem konservativen Kulturpessimismus FREUDs einen revolutionären Kulturoptimismus entgegen. Neben dem gezielten Gebrauch von Kontrolle über Sexualität als unmittelbares politisches Machtin-strument ist Normierung von Sexualität die Kontrolle von kulturstabilisierender Aggression. Indem Männer auf ein einziges Sexualobjekt festgelegt, sonst aber auf zielgehemmten (d. h. sublimierten, entsexualisierten) Eros verpflichtet werden, werden die bindenden Aspekte des Eros bestärkt, die aggressiven Potenziale der (sexuell arterhaltend motivierten) Konkurrenz entkräftet. Die kulturelle Normierung der Sexualität ist dabei eine Nebenerscheinung der Tendenz der Kultur zur Aggressionsunterdrückung. Diesen von FREUD (1930) beschriebenen Zivilisationsprozess umzustürzen fordert MARCUSE und damit die Schaffung einer lustori-entierten Gesellschaft. Er wurde damit als Proponent einer Jugendbewegung gebraucht, die spielerische Lustbefriedigung als gesellschafts(neu)bildenden Katalysator fordert und bedingt betreibt. Auf den Wirklichkeitsbegriff des kritischen Rationalismus und den der kritischen Theorie reduzierte sich der ideologische Streit um den Rückfall in die Barbarei primitiver Stammeskonzeptionen, den POPPER als Gefahr für die institutionelle Struktur der abend-ländischen Kultur erachtete. 30 Jahre nach der Sexualrevolte unterstellt LAU (2002) dem Denken MARCUSEs ein reaktionäres Ressentiment gegen die städtischen Umgangsformen unserer Metropolenkultur. Im Zueinander von Sex, Drugs and Rock’n’Roll erschien dieses Gefüge bereits in seiner Zeit weniger als ein Schlachtruf einer Revolte denn als Artikulation einer Fluchttendenz, vor dem reale Leben wie dem städtischen.