1.2 Definitorische Aspekte von Pop und Musik 89 Klima. Dieser funktionale Aspekt soll dem sprachorientierten Verständnis einer Kultur als Zeichensystem gegenüber gestellt werden. Hedonismus ist kein apolitisches Verhalten, wenn es auch im individuellen Ver-ständnis oft so gesehen wird. Hedonismus und Spannung als lustvolles Erleben sind zwar Entzug von argumentierender politischer Arbeit, sie markieren aber auf »mille plateaux« Brüche in einem tradierten Gesellschaftsgefüge – eine postmoderne Sicht. Gerade jene Elemente, die Musik insgesamt auszeichnen, die Pop im Speziellen ausmachen, sind dabei die Wirkgrößen: Dynamik, Intensität als direkte körperliche Stimulantien; nun getragen von einer neuen Generation, die die aufklärerischen Phasen nicht durchlaufen hat, die nach 68 Geborenen sind Träger der neuen hedo-nischen Techno-Szene. Musik ist primäres Medium; stilistische Differenzierungen werden über die funktional wirksamen Qualitäten Sound, Tempo Beats per Mi-nutes und Rhythmus zur Erzeugung von Erregung auch von der eigenen Szene als innermusikalische Parameter parawissenschaftlich heraus gearbeitet: Musik als Stimulans – das politische Potential liegt in der Erregung auf »mille plateaux«, der Erregung als Massenerscheinung. Der Schein eines kollektiven Wir hat sich dabei in ein interpassives Zusammensein von Individuen im verstärkenden Kollektiv geändert – politische Agitation, die dieser hedonischen Form oftmals nicht zugeschrieben wird, liegt in der Nicht-Fassbarkeit. 1.2.3 Pop – ein Phänomen der doppelten Sozialisation Pop ist die musikalische Synthese zwischen der Musik des primären sozialen Um-felds der weissen Jugendlichen und der Musik und Lebenshaltung einer ersehnten Alternativkultur, der der Schwarzen. Der Pop des »white nigger« (vgl. MARCUS 1996)2 ist das, was einst gezielt zur Rückholung der abtrünnigen weißen Jugendlichen von den schwarzen Sendern führen und die destabilisierenden Individualitäts- und daraus imaginierbaren Gesellschafts-bilder verhindern sollte. Die Kreation des »white nigger« sollte ins kapitalistische System heim-ver-führen. Die schwarze Kultur diente dem Pop als Projektionsfolie der Sehnsüchte einer mittelständischen weißen Jugend, die oftmals keine Berührungspunkte mit den Schwarzen hatten, wie dies HEBDIGDE (1979) für die Situation in Großbritannien beschreibt und was die Sex Pistols in »Holidays in the Sun«3 thematisieren, »einen billigen Urlaub im Elend anderer Leute, [was bereits] im Paris des Mai 1968 als Graffiti auftauchte« (MARCUS 1992, S. 27). 2 Greil MARCUS (1996, S. 59–60) relativiert die berichteten Erinnerungen von Sam Phillips, aus dem Munde seiner damaligen (1952/53) Geschäftsleiterin bei Sun Records in Memphis, Marion Keisker. »Könnte ich einen Weißen mit dem Neger-Sound und dem Neger-Feeling finden, dann könnte ich eine Milliarde Dollar machen« habe Phillips gesagt; dies ist in die Elvis Biographie von Albert GOLDMANN (1981) aufgenommen worden. Phillips fand etwa ein Jahr später einen »white nigger«; dass er die Vulgär-Terminologie bestreitet, spricht nicht gegen die dahinterliegende Logik. Die Vulgärterminologie gebe der Aussage Authentizität: »In der Geschichte der populären Kultur käme ›das Vulgäre der Wahrheit noch immer am nächsten‹« (MARCUS 1996, S. 60), konterte der Verlag auf MARCUS’ Hinweis zur Veröffentlichung dieser möglicherweise »gemeinen, verleumderischen Worte« (MARCUS 1996, S. 60). 3 Aus dem Album »Never Mind the Bollocks« written by J. Rotten, S. Vicious, S. Jones, P. Cook.