90 Populäre Kultur und ihre Musik Pop ist somit von Anbeginn an eine Assimilationskultur durch doppelte So-zialisation. Ihr Entstehen in Amerika ist durch das gelebte Umfeld (musikalisch der Country-&Western-Style) und die ersehnte schwarze Kultur (musikalisch der Blues), mit der man sich identifizierte, ohne jemals Berührungen gehabt zu haben, geprägt. Ähnliches vollzieht sich im britischen Pop. Durch die Assimilation der im primären Sozialisationsfeld erlernten musikalischen Sprache wird vorrangig Irish Folk-Music mit dem importierten und ersehnten, mit der Aura der pubertären Freiheit umgebene Rock’n’Roll am Background des Amateurismus, über Skiffle, zum Brit-Pop verschmolzen. Mit Amateurismus als Vorbedingung entstand erst-mals eine selbstbestimmte Jugendkultur im Gegensatz zur politisch eingerichteten Kultur für Jugendliche in den USA, die die Sehnsüchte nach Freiheit und ihre Musik über die Verführungsindustrie in die wirtschaftlichen und politischen Interessen des kapitalistischen Amerika eingliedern sollten – und dies bis heute tun. Mit entsprechender Verzögerung trat dieser Assimilationsprozess, der sich zuerst durch das übende Imitationslernen in der Nachspielphase und danach erst durch die Einbeziehung regionaler Besonderheiten äußert, in den deutschsprachigen Ländern auf. Aus diesem geht für Österreich der Austro-Pop hervor; zuerst die Verschmelzung des angloamerikanischen Pop mit dem städtischen Wiener Volkslied und seiner Nähe zum Kabarett, das auch von den Nationalsozialisten als Ventil geduldet wurde und das Dritte Reich überleben konnte – wie Pop trägt es viel Gegenhaltung in sich. Nach einer politischen Wende, mit der Tradition und Regionalität zu hohen Werten wurden, verschmolz Pop mit dem älpischen Volkslied. Möglicherweise ist diese politische Wende auch Teil einer allgemeinen Ethnifizierung. Technische und soziale Aspekte verstärken diesen Wandel: Produktions- und Distributionstechnologien wie Rezeption sind nicht mehr ausschließlich an urbane Strukturen geknüpft. Was dem West – Ost Konflikt um Europa entsprang und vom Wirtschaftgefälle nach dem Zweiten Weltkrieg genährt war, was als kultureller Marshall-Plan, oder härter formuliert als »kulturelle Kolonialisierung« mit dem großen Soldaten Elvis kampfesmäßig geführt wurde (der ja auch in Europa und nicht in Korea stationiert wurde und von dort einen großen Sieg heimbrachte, während er in Korea möglicher-weise eines von vielen Opfern gewesen wäre), hat sich mit Techno erstmals gewendet. Nicht anglo-amerikanische Musik infiltriert Europa. Die Rezeption des Rock’n’Roll erbringt europäischen Pop als Mersey-Beat, der schließlich auch die USA eroberte. Kontinentaleuropäische Mixturen finden nur regionale Aufmerksamkeit. Bloß die in der Rezeption in den nördlichen Industriemetropolen der USA zur Tanzmusik mutierte europäische (deutsche) technoide Musik kehrt als Disco, in seiner späteren Form als Techno, nach Europa zurück und erhält hier eine Bedeutung, die sie selbst in den Tanztempeln der USA nicht erhält. Der dem amerikanischen Sozialgefüge nähere schwarze Hip-Hop nimmt dort die dominante Stellung ein. In den ehemaligen europäischen Kolonialstaaten Frankreich und Großbritannien mit ihrer schwarz durchsetzten Bevölkerungsstruktur nimmt Hip-Hop eine ähnliche Dominanz ein. Die Generalisierung dieser soziopolitischen Basis einer ästhetischen Hervorbringung findet sich in der Migrationskultur in den deutschsprachigen Ländern – gerade in Deutschland aber auch in Österreich, wo Hip-Hop als Szene der Kinder ehemaliger italienischer, türkischer und slawischer Gastarbeiter nicht lebt, aber imagekonform verkauft wird.