1.2 Definitorische Aspekte von Pop und Musik 95 »Die Befreiung der Kunst von institutionellen Bindungen, von Kirche und Hof, ward erkauft durch die Bindung an den ökonomischen Markt« (BEHRENS 1996, S. 39). Dieses Diktat des kapitalistischen Marktes erzeuge nur Ware, denn »von der Autonomie der Kunstwerke [. . . ] ist nichts anderes übriggeblieben als der Fe-tischcharakter der Ware« (ADORNO 1973, S. 33). Diese Bindung ist keine einseitige Abhängigkeit, die Ware dient nicht bloß zum Profit ihrer Erzeuger, sie ist Trans-portmittel von Einstellungen. Der mediale Charakter, Musik als Stimulans, werde in diesem Gefüge transparent. »Nachdem das Zeitalter ihrer technischen Repro-duzierbarkeit die Kunst von ihrem kultischen Fundament löste, erlosch auf immer der Schein ihrer Autonomie« (BENJAMIN 1968, S. 22). In Anlehnung an die Ar-gumentationen der massenhaften technischen Vervielfältigung geschieht nicht nur eine Zerstörung der Aura der Kunst, Pop gerät in einen symbiotischen Bezug zur massenhaften Distribution und zur Masse – im demokratischen, weil selbstgeregelten Gefüge von Angebot und Nachfrage: »Massenkünstler seien demokratische Künstler; ihre Arbeit werde von einem Publikum aufgenommen, in dem jeder ein ›Experte‹ sei« (FRITH 1981, S. 54). Andererseits diktiert der Konsument die Produktion über Pilotstudien seiner Präferenzen. »Die Standards seien ursprünglich aus den Bedürfnissen der Konsumenten hervorgegangen: daher würden sie so widerstandslos akzeptiert« (HORKHEIMER & ADORNO 1971, S. 129). Nicht nur die (Befriedigung der) massenhafte(n) Rezeption steht mit der massen-haften Produktion im üblichen Bezug des Marktes durch massenhafte Nachfrage. »Das Paradoxe am Rock-Geschäft liegt darin, daß die meisten Aktivitäten dem Bemühen dienen, Verluste zu vermeiden und ganz einfach vorhandene Märkte zu befriedigen (›der Öffentlichkeit zu geben, was sie verlangt‹), daß aber die größten Profite immer zu den Zeitpunkten und aus den Unternehmungen entstehen, die der gängigen Weisheit des Marktes widersprechen« (FRITH 1981, S. 97). Der Markt sucht vor der absehbaren Sättigung nach stets neuem Verkaufbaren – Underground ist die Quelle, die in einem Mainstream der Minderheiten (MAYER 1996) ökonomisch optimiert wird. »Intellektuelle und Künstler haben eine ausgeprägte Vorliebe für die riskantesten, aber auch einträglichsten Distinktions-Strategien, die darin bestehen, durch Ästhe-tisierung unbedeutender oder, schlimmer noch, solcher Gegenstände, die bereits in anderer Weise, von anderen Klassen oder Klassenfraktionen als Kunst behandelt worden sind (wie Kitsch), ihre eigene Macht unter Beweis zu stellen« (BOURDIEU 1984, S. 441). Der semiologische Guerilla-Krieg (ECO 1985),4 die Enteignung von sozial positionierenden Zeichen der subversiven Kulturen erfährt hier empirische Stütze. Pop ist als Avantgarde darin zu sehen, etwas noch nicht Populäres populär zu machen; Pop beherrscht die Kunst, etwas das noch nicht Kunst ist zur Kunst zu machen. »Es ist von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst gewesen, eine 4 ECO weist aufgrund von Beobachtungen von Massenmedien darauf hin, dass die Bedeu-tung einer Information beim Empfänger entsteht. In der Art eines Guerilla-Kampfes sei der Rezeptionsprozess in den Wohnzimmern zu kontrollieren. Verweisender Pop spielt mit der Steuerung von Bedeutungen auf der Seite der Rezipienten, Pop bewertet durch Kontextvaria-tion Bedeutungen um, enteignet Zeichen der Positionierung im herrschenden Machtgefüge als Prozess einer subversiven Gegenbewegung. Die »semiologische Guerilla« nimmt gleichsam die postmoderne Position der Arbeit auf »mille plateaux« als die Arbeit an der Basis vorweg.