96 Populäre Kultur und ihre Musik Nachfrage zu erzeugen, für deren Befriedigung die Stunde noch nicht gekommen ist« (BENJAMIN 1998, S. 36). A&R Leute, die Zuständigen für Artists & Repertoire in Plattenfirmen, sondieren die Szene nach dem heute Unbeliebten, was morgen höchst interessant sein kann. Sie verhalten sich eigentlich wie Pierre BOURDIEUs »künstlerische Avantgarde«: Der Geschmack der künstlerischen Avantgarde lässt sich zwangsläufig nur kontrastiv bestimmen. Obwohl Quintessenz künstlerischer Legitimität, definiert er sich allem Anschein nach sozusagen negativ, nämlich als Summe der Verweigerungen gegenüber allen gesellschaftlich gültigen Geschmacksrichtungen (BOURDIEU 1984, S. 469). Hier trifft er auf die Gegenhaltung und hier trifft die Gegenhaltung auf die Chance des Zutritts zur breiten Öffentlichkeit (gerade wenn die gesellschaftlichen Rahmenbe-dingungen »Authentizität« zum Bedürfnis machen) – und hier entsteht – wenn auch in geglätteter Form – Infiltration und gesellschaftlicher, politischer Wandel. Underground und Avantgarde berühren den gelebten Alltag (vgl. POSCHARDT 1995), die technische, soziale wie psychische Verfügbarkeit der Kommunikationsmit-tel begünstigt den Prozess (2002c, 2005), der dann tausendfach wirkt (DELEUZE & GUATTARI 1980). Das sich gegenseitig Brauchen, der Gebrauch der authentischen Hervorbringung aus regionalen Szenen durch die Majors, der Gebrauch der Majors, die die Hal-tung der Szene in (kontrollierter) Form distribuieren, wodurch letztlich der Erfolg als massenhafte Distribution von Haltungen wie kommerziellen Gütern für beide eingespielt wird, entwickelt sich zum Paradigma der Pop-Culture, das sich beispiels-weise im Grunge der Seattle-Scene wie im Hip-Hop gleichsam von selbst beweisen sollte, das von Malcolm McLaren mit den Sex Pistols explizit zur Dekonstruktion der scheinbaren Gegenwelten absichtlich herbeigeführt wurde. Die elektronischen Massenmedien und Pop nutzen bei inhaltlich divergierenden Interessen den Verkauf von Dissidenz (MAYER 1996) über eine gemeinsame Kommunikationsform, die emotionale Konnotation. Die daraus resultierenden Vorgaben von elektronischen Medien und ihrer Technologie sind tragende und stilbildende Aspekte funktionaler innermusikalischer Strukturierung. Pop als medial gestützte Massenkultur und ihre kommerziell oder politisch motivierte Formung stehen einem Verständnis von Pop-Kultur als Volkskultur entgegen. Pop-Musik ist nicht Volksmusik, Pop ist industrielle Massenmusik. Pop- Musik funktioniert nicht nach den Gesetzmäßigkeiten von Volksmusik und ist auch nicht ihre industrielle Weiterführung, eine Parallelsetzung wäre unzulässig. »Massenmusik ist konservierte Musik, und Schallplatten, die sich nicht verkaufen und somit nicht populär werden, dringen auch nicht in das Bewußtsein der Massen ein – ganz gleich wie groß ihr künstlerischer Anspruch, ihre Authentizität und ihre musikalische Bedeutung ist. Rock ist ein Massenmedium, und deshalb gehen alle Versuche, seine Produkte als Volksmusik oder als Kunst zu beanspruchen, am Problem vorbei. Der ideologische Einfluß einer Platte wird vom Marktgeschehen bestimmt« (FRITH 1981, S. 60). Der mediale Anteil und die damit gekoppelte wirtschaftliche Komponente am Massenphänomen unterscheidet letztlich Folk von popular Music: die »Means of Transmission« des Folk sind »usually oral«, die des Pop »mass media«. Die »Audience« des Folk sei »small, homogenous and immediately present«, die im