102 Populäre Kultur und ihre Musik Gruppierungen und Schichten, sie tragen soziale Machtkämpfe im ästhetischen Raum aus. Indem sie sich auf die einstmals gültigen Ordnungen beruft tendiert die herrschende Schicht auch zu ästhetisch konservierenden Haltungen. Sie benutzt diese ästhetisch konservative Position zur Distinktion von sozial aufsteigenden Gruppierungen, die im Prozess der Neuordnung ihrerseits eher progressiv-innovative Positionen einnehmen. Ästhetisches wird damit zum Gegenstand sozialer Distinktion. Die Präferenz der stilvollen Ordnung »schöne Form« ist Teil der Affirmation der etablierten sozialen Gruppierungen, die Präferenz von »Idee und Gehalt« (ELIAS 1935, S. 262) Teil der Schaffung neuer kultureller Räume. Als Ausdruck der Sehnsucht der Massen nach Erfüllung ihrer (sozialen) Träume seien die neuen Stile von hoher Gefühlsgeladenheit. Der bürgerliche Künstler wirke als Delegierter der Massen. Seine emotionalisierte Kunst trage nach Elias die Poten-tialität zur Form des Kitsches in sich. Die ästhetischen Präferenzen verschiedener sozialer Gruppen und Schichten sind also Spiegel ihrer habituellen Prägungen und Affektökonomie und zugleich auch des sozialen Beziehungsgeflechts, in dem sich die Handelnden befinden. Gesellschaftliche Verhältnisse, die affektiven Standards und die Form der ästhetischen Hervorbringungen stehen damit in unmittelbarer Beziehung. Betrachtet man seine Genese und seine Entwicklung als Gegenhaltung konno-tierende unmittelbar körperbetonte Form, ist Pop der »Rückgriff« auf jene nicht überformten emotionalen Standards, die als Habitus der Schwarzen erachtet wer-den. Der Pop-Star nimmt dabei die Rolle des Delegierten der Massen ein zur Formulierung und Projektion ihrer Träume; emotionale Freiheit steht für soziale Freiheit, Informalisierung und Demokratisierung gehen einher – ob seines signalhaft kommunikativen Charakters schafft der Sound des Pop jene Emotionalitäten, jene affektiven Standards, in denen sich gesellschaftliche Transformationen am sozial neu positionierenden Individuum emotionell ereignen. 1.2.8 Pop – ein emotionales als politisches Klima Dem Verständnis von Kultur als Zeichensystem (CASSIRER 1964) folgend werden Bedeutungen zu erforschen versucht; Sprachkonzepte bieten den theoretischen und methodischen Zugang. Als die Mediatisierung rückschreitenden Fortschritts könnte das Verständnis von Kultur als emotionales Konzept erachtet werden (ELIAS 19895); ihm ist mit Methoden der Konnotationsforschung nahe zu kommen, die Bedeutungen zugunsten von Images vernachlässigt. Pop erweist sich vorrangig als ein emotionales Konzept, als ein unmittelbar wirkendes Gefüge von Stimulantien, in denen Sound aufgrund seiner Apragmatik eine Sonderstellung einnimmt. Was allgemein auf die Rezeption bezogen wird, ist auch auf die Produktion anzuwenden, Pop ist als originäres Musizieren zu diagnostizieren, als instrumentarisiertes Ausdrucksverhalten. Diese intuitive Körperpraxis und ihre Extension in Technologien machen daraus eine allgemeine Musizierpraxis (KLUG 5 Siehe die »Studien über die Deutschen« zugleich als Zusammenfassung von ELIAS’ Vorstel-lungen über kollektive Emotionen und deren politischer Bedeutung wie als (empirisches) Beispiel.