108 Populäre Kultur und ihre Musik allgemeine Rezeptionsart der anderen, wirkt dabei als Reinforcement; emotional bestimmte Massenphänomene, emotionale Klimata werden durch die Provokation solch tief liegender, allgemeiner Rezeptionsformen mitbestimmt. Diese Rezepti-onsart ist durch die technischen Möglichkeiten der neuen Künste gegeben. Durch ihre willkürliche technische Reproduzierbarkeit ist Kunst damit auch von der Aura der Einzigartigkeit des Kunstwerkes befreit (eine Werthaltung der bürgerlichen Gesellschaft). In der individuell bestimmbaren Rezeptionsart ortet BENJAMIN einen weiteren Grund für die Zuwendung von Massen zu künstlerischen Gegenständen und sieht darin ein Manko der politischen künstlerischen Avantgarde. Foto und Film als technische Entwicklungen seiner Zeit stehen hier Pate für eine Idee künstlerischer Wirklichkeit, die erst mit den partizipativen Künsten in der Folge des Happenings in unterschiedlichen technischen Realisierungen Tatsache geworden ist und den Massenzuspruch weiter steigerte. Sowohl die Leavisten als auch der Kern der Frankfurter Schule, der letztlich seine pessimistische Sicht aus der fernen Erfahrung des Hollywoodfilms der dreißiger Jahre auf die Situation der Rezipienten überträgt, glaubten daran, dass die Massen einer wissenschaftlich bestimmten Beeinflussung zum Zwecke des Profits weniger Wissen-der (oder Besitzer der Produktionsmittel) in einem letztlich autoritär bestimmten Kapitalismus ausgesetzt sind. Die einen nennen es angewandte Psychologie, die anderen Werbung, wenn sie meinen, dass Psychotechnologie über die Nutzung lustbesetzter primärer Motive die Massen zum Schein verführe und von der Realität ablenke. Die Kulturindustrie reize Sexualität und Sehnsüchte aus, sie gehe aber auch niemals zu weit; sie ist pornographisch und prüde zugleich, sie degradiere Liebe zur lustvollen Romanze während die wahre Kultur wisse, dass echte Gefühle stets einfach sind. Sehnsüchte der Freiheit über die Metapher Sexualität werden dann auch für die Rock-Musik zentral sein. Das dort bis in die neunziger Jahre bestim-mende Bild hinsichtlich der Beziehung der Geschlechter orten die Autoren bereits früh im Film und sehen in der Kulturindustrie Verstärker sexistischer Stereotypien. Die dargestellte Gefühlswelt der Frauen legt Zeugnis ab von den Bestrebungen der Männer, der profitierende Teil der Beziehung zu sein; nicht nur der Blick auf die Sujets der Gefühlswelt der Rock-Musik wird später ein männlicher sein, auch ihre wirtschaftliche Seite Vermarktung wird männerdominiert sein. BENJAMIN ist weit davon entfernt, Massenkonsum allgemein als passives Phä-nomen zu sehen. Er steht der Möglichkeit der Beeinflussung durch die Medien skeptisch gegenüber und arbeitet einen Aspekt der Erlebnisfokussierung heraus, den er mit den psychoanalytischen Techniken der Bewusstmachung von Nicht- Bewusstem vergleicht. BENJAMIN spricht den Neuen Medien seiner Zeit eher die Möglichkeit zu, die Wahrnehmungsfähigkeit zu vertiefen anstatt sie zu verflachen (BENJAMIN 1968). Dennoch ist seine Sicht nicht grenzenlos optimistisch, eigentlich ist sie uneinheitlich – aber nicht aus Inkonsequenz sondern aus dem Bestreben mannigfaltiger Hinterfragung. In dieser Methodik ist BENJAMIN ein Vorreiter im postmodernen Diskurs im Gegensatz zu der dogmatischen Moderne der Frankfurter Schule. In der Absicht der mehrfach parallelen Befragung dürfte auch die größere Nähe zur Erkenntnis des Hybriden Pop-Culture sein.