1.4 Stadien der Pop-Kultur aus theoretischer Sicht 121 Befindlichkeit und Verkünder eines Inhalts – hinter die Rhythmus- und Klang-maschinen zurück tritt, wird ein anderes Merkmal sehr deutlich: Anliegen – z. B. minoritäre – werden im Pop-Format nicht mehr ausschließlich auf einer inhaltlichen, aussagemäßigen Ebene, sondern verstärkt auf der Sound-Ebene artikuliert: ›The In Sound From Way Out‹. Punk war noch damit erfolgreich, das formale Gerüst von Sixties-Beat und Drei-Akkord-Garagen-Geschrammel mit apokalyptischen Inhalten zu füllen, um den Stadionrocker ebenso wie einer fortschreitenden wirtschaftlichen Depression in den Arsch zu treten. Heutige Drum&Bass-Musik läßt sich – mit der Ausnahme von rhythmisch gesetzten Interjektionen – auf eine verbale Aussage eben im besten Fall kontextuell ein (vgl. die Science-fiction-, Kryptologie-, Wissenschafts-und Kriegsreferenzen). Indem die Rhythmusmodelle immer zerhackter und die letzten Reste von Melodik eliminiert werden, sind es genau die endlos wiederholten rhythmischen Brüche – gegenüber dem klassischen Format eines herkömmlichen Pop-Songs –, die hier zentral zur Geltung kommen« (HÖLLER 1996, S. 68–69). In HÖLLERs Ausführungen klingt die Abkehr vom Klang als vermittelndes Zei-chen hin zum Katalysator von Gegenhaltung an – dem kulturwissenschaftlichen Zugang scheinen aber funktionale Bezüge als naturwissenschaftliche Zugänge zu widersprechen. Sound ist jene aus Erregung hervor gegangene und erregende funktionale Größe in einem emotionalen Konzept von Kultur. In der lasziven Stimme des Rock’n’Roll, in der schreienden Gitarre des Rocks der späten sechziger Jahre mediatisiert, in den technoiden Formen der neunziger Jahre auf das klangliche Melos technisch instrumentarisiert; hoch mediatisiert und zugleich gänzlich auf originäre emotionale Ausdrucks-Klanglichkeit reduziert. In jedem Fall ist Sound erregend, agitatorisch und somit handelnd – auch aufwühlend zum politischen Handeln. 1.4.2 Ausdifferenzierung der Masse zum Wir »Daß der kulturindustrielle Mainstream gerade durch seine Vereinheitlichung ständig große Massen ansprach, öffnete der Körperpolitik der Jugendlichen dabei ungeahnte, ›basisdemokratische‹ Kanäle. Pop als Massenprodukt sollte sich ja gerade jeder leisten können und jeder verstehen« führen HOLERT und TERKESSIDIS (1996, S. 13) in der Einführung zu Mainstream der Minderheiten aus. »Jazz schafft es, die Metasprache für eine hochentwickelte musikalische Organisa-tion zu erledigen, die der Metasprache bedürftig ist, wie die Pop-Band-Musik nichts ist außer der auffälligen, ausgestellten Metasprache über eine der Metasprache kaum bedürftige (nämlich sehr einfach strukturierte) Musik« (DIEDERICHSEN 1996, S. 105). Diese Metasprache, die Partitur, die Absprache wird informell aus dem Wir gebildet, aus der identifizierenden emotionalen Erfahrung gleich zu sein. Diederichsen wertet im Jazz jedes »Instrument als Stimme der Vielstimmigkeit, im Pop ist die Verabredungsmusik der Band eher der unsichere Versuch, die eben erhobene Stimme gleich wieder verschwinden zu lassen« (ebenda, S. 105). Diese Homophonie ist Zeichen des uneingeschränkten Wir-Glaubens. Gruppen haben einen Sound; Solisten durchdringen erst mit der Wiederkehr der die bürgerlichen Ideale repräsentierenden Form im art-rock in den späten sechziger Jahren diese harmony – eine Harmonie, die jeglicher ursprünglicher Polyphonie entledigt ist, wie