122 Populäre Kultur und ihre Musik dies auch propagandistischen Glaubensbekenntnissen eigen ist (vgl. DIEDERICHSEN 1996, S. 102). Dies ist auch jener Zeitpunkt, wo nicht nur das Musikspielen, sondern auch ihr Machen und ihre Distribuierung im Wir versucht wird, zumindest wird es als Sache der generation selbst erachtet. Erst diese Phase der Pop-Kultur ist Jugendkultur und beginnt vermutlich mit dem Selbstmanagement der Beatles und endet wahrscheinlich auch mit ihrem Verkauf des gemeinnützig verwalteten Apple- Studios. Die Beatles verkörpern diesen Mythos am deutlichsten. Das Wir impliziert Gemeinsamkeit aller, dies impliziert weiterhin nicht nur die Konzentration auf wenige Wissende, der Amateurismus ist die Brücke zum Allgemeinen. Er überbrückt die Barriere zwischen den Machern und den Rezipienten, partizipatives künstleri-sches Verhalten (in der Avantgarde wie im Rock) ist Ausdruck der Sehnsucht nach politischer Mitbestimmung, eine Sehnsucht, die als Forderung der sechziger Jahre kraftvoll und langfristig nachhaltig ist. Individualität wird nach dem Zusammenbruch der letzten Bastion der Moderne, der sechziger Jahre, aber erneut ein Wert, vorerst im stellvertretenden Star, spätro-mantischer Verehrung nahe, danach durch Generalisierung auf das Selbst abseits der Repräsentation in der lustvollen Erlebniskultur der Discowelt. Im Austro-Pop ging das Star-Sein mit der Identifikation eine Ehe ein, die im regionalen Kleinbetrieb möglich ist. Der Star agiert als der Kumpel von Nebenan und wird dieserart rezipiert und akzeptiert (JAUK 1995b). International lag die Folge des Begreifbarmachens der ersehnten Identifikations-figur Star im »kleinen« Star. Independent Labels kreierten den zur persönlichen Identifikation einladenden kleinen Star, fleischiger als die Marionette der Majors. Diese reagierten schnell. Die Affirmation dieser Individualisierung geschah durch die Aneignung ihrer gesellschaftlichen Praxis durch die Wirtschaft: Die Einverlei-bung und damit benutzende wie kontrollierende Weiterführung des Independent in den Majors. Sie kauften die letztlich nicht überlebensfähigen »Indies« auf und verjüngten sich damit selbst, ja sie stärkten sich dadurch – durch die Distribution des persönlichen Stars. Pop hat einen Beitrag dazu geleistet, eine auf gemeinsamem Verhalten gebaute Gemeinschaft der Jugend zu affirmieren. »Tatsächlich hat Pop später dazu beige-tragen, die mögliche Palette solcher Communities sehr variabel werden zu lassen« (HOLERT & TERKESSIDIS 1996, S. 18). »Der Weg von Pop als Widerstandsmedium gegen die Disziplinargesellschaft mitten ins Zentrum der Kontrollgesellschaft ist noch nicht abgeschlossen. [. . . ] Allerdings muß man wohl aufgrund der ambivalenten Geschichte von Pop betonen, daß man diesen Kampf immer verlieren wird, wenn es nicht gelingt, an den sozialen und institutionellen Praxen etwas zu verändern. Sonst wird auch die nächste mögliche Offensive minoritären Widerstandes [. . . ] nur der Veränderung und Immunisierung eines Mainstreams dienen« (ebenda, S. 19). Die Praxis des Lebens scheint das zu tun, geregelt durch den strukturierenden Faktor Macht, wie das die Birminghamer Schule vermutet. Dieselben Menschen, die zuerst aus pubertärem Interesse Freiheit suchten und Adoleszenz im Wir der sechziger Jahre geübt haben, haben später aus der Opposition und Solidarität eine Alternative entwickelt und sich in den neu gegründeten Institutionen (der Macht), den alternativen politischen Parteien, wieder gefunden; Pop war dabei wohl ein Initiator und Katalysator.