1.4 Stadien der Pop-Kultur aus theoretischer Sicht 123 Hat sich durch die Erfahrung des Gegenstandes der Blickpunkt auf den Gegen-stand an diesen angepasst? Hat der Blickpunkt auf die Dinge zu einer Adaptierung der Dinge geführt? Bloß die konservative Linke hat Probleme mit einem Zusam-menspiel. Nach HORKHEIMER und ADORNO (1971) sah man in der Pop-Industrie die Widerspiegelung kapitalistischen Systems. BENJAMIN wertete die »Vervielfäl-tigungsformen von Kulturwaren als historisch avancierte Reproduktionsweise des Kapitalismus« (GURK 1996, S. 19). Ein Demokratisierungsprozess der Kultur wurde gezielt im bürgerlichen wie im sozialistischen Lager durch Musikvereine initiiert, die technische Reproduzierbarkeit hat für eine weitere demokratisierte Rezeptionsweise gesorgt. Der entscheidende Wirkmechanismus war aber ihre Verfügbarkeit, somit nicht ein technischer, sondern ein wirtschaftlicher Faktor. Verfügbarkeit von Kultur ist Basisidee wie Folge der Massenkulturindustrie. Dieser zentrale Wirkungspara-meter der Rezeption lässt sich auch als zentraler für die künstlerische Produktion und die damit verbundenen (ästhetischen) Haltungen isolieren. Der Begriffsbestim-mung von digitaler Pop-Kultur liegt Verfügbarkeit in mehrerlei Hinsicht zugrunde: Sampling von Vorhandenem bedeutet Verfügbarmachen von Verfügbarem mittels verfügbarer Instrumentarien. Horizontalisierung und Amateurismus zeigen sich hier als Korrelate, Verfügbarkeit ist die intervenierende Variable. Selbst in der postmodernen Industriegesellschaft scheint wieder die von HORK-HEIMER und ADORNO (1971) befürchtete Kulturkonformität aus Marktinteressen die Kulturwirtschaft zu ergreifen. Allerdings auf einer höheren Ebene. Wohl durch Punk und die Independent-Szene haben sich Interessensnischen etabliert, die Käu-ferschichten von der seit den sechziger Jahren auf Startum gesetzten Verkaufspolitik des Mainstream abzogen. Independent war die Avantgarde für die (ausdifferenzie-rende) Wirtschaft, für das Fruchtbarmachen von Dissidenz als Ware. Die nach dem bombastische Wir-Gefühl der sechziger Jahre fortschreitende Individualisierung sowie die Gegnerschaft zu Stars, die im Stile simpler Dominanzmodelle traditioneller Großkonzerne als Identifikations- und Attraktionsfiguren und damit wirtschaftliche Attraktoren diktiert wurden, sind Motor der Independent-Szene. Die Szene sucht authentische Produkte, kleine Objekte mit sozialer Nähe (vgl. JAUK 1995b), mit »angemessene[r] Distanz zu den ihnen gleichen Objekten« (CORBETT 1996, S. 76). Die Industrie hat aus der Beobachtung der »Indie-Szene« gelernt und versucht, »den Wunsch nach Differenz auf ein Massenprodukt zu lenken« (GURK 1996, S. 27); damit wird der Manipulationsthese HORKHEIMER und ADORNOs (1971) gemäß der »Mainstream der Minderheiten« geschaffen. Da Dissidenzprodukte nur aus der Szene und nicht der Retorte der Industrie kommen sollten, hat diese die Kleinlabels, nachdem sie sich im eigenen Testlauf bewährt hatten, einverleibt »auf daß ›Dissidenz‹ entstehe« (GURK 1996, S. 33). Wiederum hat sich das Spiel eingependelt und beiden Seiten Erfolg gebracht. Damit ist nicht mehr Diversität entstanden als zuvor, sondern es ist von der In-dustrie nur auf die allgemeine Individualisierung reagiert worden und eine andere Konformität erzeugt worden: »Differenzen als Einheit« (ebenda, S. 35). Abgesehen von persönlicher Bereicherung aus dem Untergrund entwachsener Musiker ist dieser kommerziellen Avantgarde auch eine Kraft für die Veränderung der Gesellschaft inhärent, denn die Industrie ist nach McLaren davon überzeugt, aus Musik als Ware »auch dann Kapital zu schlagen, wenn sie so widerspenstig ist, daß sie eigentlich